Zukunft gestalten in der Streitkräftebasis

Erstveröffentlichung:
Hardthöhen-Kurier 05/2024

Letzte Aktualisierung:
14.03.2024

Autoren
Thomas Doll, Hannes Weller

Erfindungen haben die Art und Weise wie Menschen lernen, kommunizieren, arbeiten und leben schon immer beeinflusst. Sei es die Erfindung des Buchdrucks und die damit einhergehende Vervielfältigung und Verbreitung angesammelten Wissens in großen Auflagen, die Erfindung des Verbrennungsmotors und der damit aufkommende Automobilverkehr, oder die Erfindung des Microchips und die daraus entstandene Informationstechnologie, deren Weiterentwicklung bis heute anhält. Wie mühselig muss das Leben ohne Smartphone, Computer, Auto, Bahn oder Flugzeug gewesen sein? Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Technologischer Fortschritt war und ist die Triebfeder gesellschaftlichen Wohlstands. Wohlstand, den moderne Gesellschaften schützen müssen, nach innen wie auch nach außen.

Insbesondere um letzteres zu erreichen, haben die Vereinigten Staaten von Amerika bereits in den 1950er Jahren eine Strategie entwickelt, die mittlerweile in der dritten Auflage immer wieder zu technologischer Überlegenheit im militärischen Bereich geführt hat, die Offset Strategie. Ziel der Offset Strategie ist es, in ausgewählten Technologiebereichen führend zu werden, um hieraus überlegene militärische Fähigkeiten zu entwickeln. Beispiele hierfür sind die Stealth-Technologie für Schiffe und Luftfahrzeuge, das Global Positioning System (GPS) oder die im zweiten Golfkrieg eingesetzten Präzisionslenkraketen. Auch wenn eine derartige Strategie in Deutschland fehlt, so gilt dennoch auch für die Bundeswehr: Wer langfristig erfolgreich sein will, darf sich neuen Technologien nicht verschließen.

Der vorliegende Artikel beschreibt, aus Sicht der Zukunftsentwicklung, wie die Streitkräftebasis mit militärisch relevanten Themen des technologischen Fortschritts umgeht. Die Themenfelder Künstliche Intelligenz, Unbemannte Systeme und Quantentechnologie werden in ausgewählten Bereichen tiefergehend betrachtet (Abbildung 1). Erkenntnisgewinn und sich daraus ableitende militärische Anwendungsmöglichkeiten werden dargestellt.

Zukunftsentwicklung in der Streitkräftebasis – Ausrichtung, Aufgaben und Zielsetzung

Um auf lange Sicht konkurrenzfähig zu bleiben, müssen moderne Streitkräfte den technologischen Fortschritt eng begleiten und frühzeitig richtungsweisende Ableitungen treffen. Eine Aufgabe, die in den Militärischen Organisationsbereichen der Bundeswehr in den Bereich der Zukunftsentwicklung fällt. Im Referat Zukunftsentwicklung und Digitalisierung des Kommando Streitkräftebasis werden hierfür Experten verschiedener Fachrichtungen eingesetzt. Der Erfahrungshorizont reicht vom ausgebildeten Unternehmensberater über den Technologieexperten bis zum Systemanalysten. Dies schafft die Voraussetzung, um auch anspruchsvolle Fragestellungen tiefergehend untersuchen und bewerten zu können.

Das im Referat zu bearbeitende Technologiespektrum wird im jährlichen Rhythmus durch die ministerielle Weisung für den Planungszyklus vorgegeben. Daraus ergeben sich Folgerungen für eine optimale Ausrichtung in der Streitkräftebasis. Ist die Expertise für einen Technologiebereich nicht vorhanden, muss diese aufgebaut werden. Nur durch die intensive Befassung mit der Technologie kann es gelingen, sich abzeichnende Trends frühzeitig zu erkennen und Potenziale abzuschätzen. Eine der hierbei wichtigsten Aufgaben ist es, die zivile Entwicklung am Aufgabenspektrum des eigenen Organisationsbereichs zu spiegeln und militärische Anwendungsmöglichkeiten abzuleiten. Um jene Technologieentwicklungen aufzugreifen, die zusätzlich ein hohes Digitalisierungspotenzial besitzen, wird die Zukunftsentwicklung im Referat durch das Sekretariat Digitalisierung ergänzt. Die Methodenexperten des Referats unterstützten zudem mit ihrem Fachwissen.

Besitzt eine Zukunftstechnologie, nach eingehender Untersuchung, hinreichend Potenzial, werden für konkrete Anwendungsfälle Handlungsfelder der Zukunftsentwicklung erarbeitet. Eine tiefergehende Untersuchung erfolgt dann dort, wo die größte fachliche Betroffenheit bzw. die Fachkompetenz verortet ist – in den Fähigkeitskommandos und Ämtern der Streitkräftebasis.

Innovationsmanagement und Zukunftsentwicklung: In der Bundeswehr ist die Zukunftsentwicklung dem Planungsbereich des Innovationsmanagements zugeordnet. Dessen Ziel ist es, das Handlungs- und Leistungsvermögen der Bundeswehr durch verstärkte Nutzbarmachung neuer Ideen und deren schnellere Umsetzung zu verbessern. Die Untersuchung von Ideen erfolgt entlang der Gestaltungsbereiche der Zukunftsentwicklung. Diese sind: Personal, Ausbildung, Übung und Einsatz, Material und Ausrüstung, Infrastruktur, Methoden und Verfahren, Konzeption und Konzepte, Organisation und Betrieb sowie Multinationalität.

Oftmals steckt das Potenzial einer Idee nicht in der Technologie selbst, sondern ergibt sich durch die Kombination verschiedener Ansätze. Die Erfindung des Smartphones ist hier ein gutes Beispiel. Erst durch die Kombination verschiedener Sensoren, Mobilfunk- und IT-Komponenten mit einem berührungssensitiven Monitor konnte die besondere Funktionalität des Geräts und der sich ergebende Mehrwert erreicht werden. Aus militärischer Sicht könnten Generative KI-Systeme kombiniert mit Taktischen Drohnen und Quantencomputern zukünftig durchaus ähnliche Effekte erzielen.

Diese und andere Entwicklungen im Auge zu behalten und Ableitungen für die militärische Nutzung zu treffen, fällt in das Aufgabenspektrum der Zukunftsentwicklung. Mit einem Planungshorizont von fünfzehn Jahren ist ihr Fokus weit in die Zukunft gerichtet. Sie trägt wesentlich dazu bei, ein klareres Lagebild hinsichtlich sich abzeichnender Fähigkeitslücken aufzubauen.

Themen der Zukunftsentwicklung – eine Auswahl

Die Zukunftsentwicklung der Streitkräftebasis ist aktuell auf die Themenbereiche Künstliche Intelligenz, Unbemannte Systeme, Human Performance Optimization, Quantentechnologie, Energiemanagement und Materialkunde ausgerichtet. Jeder einzelne Themenbereich kann in vielfache Unterthemen ausdifferenziert werden. Darüber hinaus bestehen zwischen den Themen Synergien und Wechselwirkungen, die bei Bedarf eine gesonderte Betrachtung erfordern. Es ergibt sich eine Bandbreite an Einzelaspekten, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Im Folgenden werden ausgewählte Technologiebereiche auszugsweise dargestellt.

Generative KI-Systeme: Die Veröffentlichung des Sprachmodells ChatGPT im November 2022 hat einen weltweiten Hype um die Entwicklung Generativer KI-Systeme ausgelöst. Erstmals war es möglich, durch die bloße Eingabe von Text maschinenbasiert Antworten zu generieren, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich, denen eines Menschen nahekommen. Auch wenn die Technologie noch nicht gänzlich erforscht und auch noch nicht voll ausgereift ist, eröffnet sich mit ihr ein weites Feld bisher nicht vorstellbarer Anwendungen. Die Generierung von Sprache, Musik, Bildern, Videos und Programmcode beispielsweise. Die aktuelle Entwicklungsdynamik führt zu ständig neuen, sich hinsichtlich Leistungsfähigkeit und Funktionsumfang überbietenden Veröffentlichungen. Der Text-zu-Bild Generator Dall-E 3 von OpenAI z. B. produziert qualitativ bessere Bilder als der bisherige Marktführer Midjourney. Dafür kann der neue Bildgenerator von Ideogram auch Text in seinen Bildern verarbeiten.

Mit Ideogram erzeugtes Phantasiebild mit Schriftzug

Auch im militärischen Bereich bietet die neue Technologie vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Mit der Studie „Training und Evaluierung eines KI-Chatbot zur Unterstützung von Analysesimulationen in der Anwendung von vorschriftsgemäßen Doktrinen und Taktiken“ untersucht die Streitkräftebasis aktuell, wie Generative KI-Assistenzsysteme in den Bereichen Ausbildung und Operationsplanung genutzt werden können.

Taktische Drohnen: Die Bedeutung von Taktischen Drohnen für moderne Gefechtssituationen nimmt stetig zu. Sowohl in der Ukraine als auch im Nahostkonflikt werden Systeme unterschiedlichster Art eingesetzt. Sie bieten optimalen Schutz für das eingesetzte Bedienpersonal und können oftmals effektiver und wirkungsvoller agieren als herkömmliche Waffensysteme. Bis zur umfassenden Einführung leistungsfähiger Abwehrsysteme wird sich daran auch nichts ändern. Anwendungsmöglichkeiten sind in allen Domänen und über alle Truppengattungen/Dienstbereiche hinweg gegeben. Gleiches gilt für die Fähigkeitsdomänen der Streitkräftebasis. Vorstellbar sind autonom operierende Drohnenschwärme zur ABC-Aufklärung und ABC-Überwachung großer Räume. Erste Hinweise hierzu hatte bereits die Studie ABC-Raumschutz im Systemverbund Land geliefert. Gleichermaßen lassen sich Taktische Drohnen auch zur automatisierten Verkehrsüberwachung einsetzen. Gekoppelt mit modernen Führungssystemen könnten Stauungen vermieden und Verkehrsflüsse optimal gesteuert werden. Eine Fähigkeit, die sich insbesondere auch im Bereich der logistischen Folgeversorgung positiv auswirken könnte.

Quantencomputing: Die Entdeckung der Quantenmechanik führte zu einer der größten wissenschaftlichen Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Als fundamentale Theorie der Physik beschreibt sie die Eigenschaften atomarer und subatomarer Materie. Das Ausmaß jüngster Forschungserfolge deutet nun auf eine zweite Quantenrevolution hin. Eine der zentralen Technologien ist das Quantencomputing. Bei dieser werden quantenmechanische Effekte genutzt, um komplexe algorithmische Probleme zu lösen. Während klassische, digitale Computer mit einzelnen Bits rechnen, die immer genau einen von zwei möglichen Zuständen (0) oder (1) einnehmen, arbeitet ein Quantencomputer mit Quantenbits, oder kurz Qubits. Dabei kann ein Qubit aufgrund des quantenphysikalischen Effekts der Superposition (0) und (1) gleichzeitig und alle Zustände dazwischen annehmen. Um beispielsweise eine optimale Route in einem komplexen Straßennetzwerk zu finden, berechnet ein klassischer Computer jeden Routenabschnitt nacheinander. Mit steigender Komplexität verlängert sich die Rechenzeit exponentiell. Ein Quantencomputer dahingegen berechnet alle möglichen Routenabschnitte parallel und kann so die optimale Route sehr viel schneller finden. Aufgrund des fundamental anderen Rechenprinzips wird Quantencomputern mit bereits wenigen Qubits erhebliches Potenzial für bestimmte Rechenoperationen zugeschrieben. Bis Quantencomputer über eine ausreichende Anzahl an Qubits verfügen, um gewinnbringend in praktischen Anwendungen zum Einsatz zu kommen, werden noch einige Jahre vergehen. Mit Blick auf die immer komplexer werdenden Prozesse in Logistik und Transport ist das Quantencomputing für die Streitkräftebasis jedoch von besonderem Interesse.

Die Technologischen Entwicklungen in den Bereichen Generative KI, Taktische Drohnen und Quantencomputing haben das Potenzial einen deutlichen Fähigkeitszuwachs zu generieren. Generative KI-Systeme können Lageentwicklungen vorausberechnen und dazu beitragen Entscheidungszyklen zu verkürzen. Taktische Drohnen können, mit intelligenter Sensorik bestückt, dazu beitragen das Lagebewusstsein der Truppe zu verbessern. Operationen können so zielgerichteter und mit erhöhter Erfolgswahrscheinlichkeit geführt werden. Der Einsatz von Quantencomputern ermöglicht es, logistische Prozesse in einem immer komplexer werdenden Umfeld zu optimieren und so eine effektivere und effizientere Versorgung zu gewährleisten.

Fazit

Sinn und Zweck von Streitkräften ist es, die Interessen des Staates, falls nicht anders möglich, mit Gewalt durchzusetzen. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit sowie die Resilienz eines Staates gegen äußere Bedrohungen gewahrt bleiben. Um dies zu erreichen, müssen unterschiedliche Fähigkeiten aufgebaut und ständig aktuell gehalten werden. Dies umfasst sowohl materielle als auch personelle und organisatorische Elemente. Die Zukunftsentwicklung leistet hierzu einen wesentlichen Beitrag. Um nicht von neuen Fähigkeiten eines potenziellen Gegners überrascht zu werden, muss der technologische Fortschritt eng begleitet und analysiert werden. Trends müssen frühzeitig erkannt und hinsichtlich einer militärischen Nutzbarmachung untersucht werden. Nur so kann es gelingen, die materielle Ausstattung dauerhaft auf technologisch aktuellem Stand zu halten. In der Bundeswehr wird hierzu Personal in der Zukunftsentwicklung vorgehalten. Im Kommando Streitkräftebasis ist dieses im Referat Zukunftsentwicklung und Digitalisierung verortet.