Erstveröffentlichung:
Hadthöhen-Kurier 05/2024 und Wehrtechnischer Report 06/2024
Letzte Aktualisierung:
20.08.2024
Autoren
Thomas Doll
Kriege führen zwangsläufig auch immer zu einer beschleunigten Entwicklung von Waffentechnologie, da die Kriegsparteien versuchen, durch technologischen Vorsprung, Vorteile in der Gefechtsführung zu erreichen. Während des Zweiten Weltkriegs sah man in der Panzer- und Flugzeugwaffe großes Potenzial, was die Entwicklung dieser Systeme stark beschleunigte. Dem Einsatz Unbemannter Systeme wird aktuell ähnliches Potenzial beigemessen, was auch hier zu einer deutlich beschleunigten Fähigkeitsentwicklung führt.
Drohnen im Ukraine Krieg
Im Ukraine Krieg werden von beiden Kriegsparteien Unbemannte Systeme unterschiedlichster Art eingesetzt. Das Spektrum reicht von bewaffneten First-Person-View-Drohnen zur Bekämpfung beweglicher Ziele im Nahbereich bis hin zu Langstreckendrohnen zur Bekämpfung von Infrastrukturelementen in der Tiefe des Gefechtsfeldes. Die eingesetzten Systeme unterliegen steter Weiterentwicklung und Verbesserung. Leistungsgesteigerte Drohnen führen zu leistungsgesteigerten Abwehrsystemen und umgekehrt.
Oftmals ist es die Kombination verschiedener Technologien, die den entscheidenden Mehrwert liefert. Bei den First-Person-View-Drohnen war dies die Kombination von bewaffneten Drohnen mit moderner VR-Technologie. Der Drohnenpilot erlebt durch die VR-Brille eine hohe Immersion. Er kann das System steuern, als ob er im Cockpit eines Flugzeugs säße. Flug- und Reaktionsgeschwindigkeit nehmen merklich zu. Hinzu kommt, dass Drohnen dieser Art nur schwer abzuwehren sind. Sie können sich bodennah annähern und gut gedeckt operieren. Der Drohnenpilot selbst operiert aus relativ sicherer Entfernung und gut geschützt.
Ein Entwicklungsbereich, der aktuell von größter Bedeutung ist, betrifft die Härtung der Drohnen gegen Störsignale. Sowohl russische als auch ukrainische Kräfte setzen eine Vielzahl unterschiedlichster Störsender ein, um den Gegner in seiner Operation zu behindern. Im Gegenzug werden immer neue Ansätze zum Einsatz störresilienter Waffensysteme erprobt. Die Bandbreite reicht von Drohnen, die mittels Lichtwellenleiter mit dem Bediener verbunden sind, bis hin zu hochautomatisierten Systemen, die im Endanflug gänzlich ohne externe Steuersignale auskommen. KI-gestützte Sensoren, die Objekte eigenständig erkennen und verfolgen spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Aktuellen Berichten zur Folge sind Entwicklungen zur Reichweitensteigerung im Gange. Hierbei werden First-Person-View-Drohnen im Verbund mit Relais- und Transportdrohnen eingesetzt. Letztere verbringen die kleineren Systeme in ihre Einsatzräume, was zu einer Verdopplung der Eindringtiefe und zu gesteigerten Operationszeiten führt.
Die Funktionsweise von fliegenden Drohnen lässt sich grundsätzlich auf bodengebundene Unbemannte Systeme bzw. fahrende Drohnen übertragen. Im Ukraine Krieg konnten sich diese bisher jedoch nicht durchsetzen. Von russischer Seite werden fahrende Drohnen zuweilen in geringen Stückzahlen zu Testzwecken eingesetzt. Interessanterweise kommt es hierbei auch immer wieder zu Gefechten mit luftgestützten Drohnen. Ein Kampf Drohnen gegen Drohnen also. Eine Situation, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre, sinnbildlich aber für das Gefecht der Zukunft stehen dürfte.
Technologische Einflussfaktoren
Die aktuell stattfindenden Entwicklungssprünge im Bereich Künstlicher Intelligenz begünstigen den Fähigkeitszuwachs Unbemannter Systeme zusätzlich. Objekterkennung und Navigation, letztere ohne GPS-Signal, können zunehmend automatisiert ausgeführt werden. Durch den Einsatz Generativer KI-Systeme wird es auch möglich sein, vom System eine Lagebeurteilung vornehmen zu lassen. Zudem kann auch die Interaktion mit dem Menschen auf einer neuen Ebene stattfinden. Alles zusammen führt zu neuen Einsatzkonzepten, die aktuell in den US-Streitkräften unter dem Begriff Human-Maschine Integrated Formations (H-MIF) diskutiert und getestet werden.
Objekterkennung: Mit der vorhandenen Bord-Sensorik Objekte im Gelände automatisiert erkennen und identifizieren zu können, ist ein wichtiger Schritt zur Fähigkeitssteigerung Unbemannter Systeme. Der Bediener kann damit weiter entlastet und in der Ausführung seiner Arbeit bestmöglich unterstützt werden. Der Bekämpfungsvorgang kann verkürzt und präzisiert werden. Mit aktuellen KI-Systemen scheint diese Aufgabe weitgehend gelöst. Objekte, die in das KI-System eintrainiert wurden, werden zuverlässig klassifiziert. Tauchen auf dem Gefechtsfeld neue Systeme auf, muss das System nachtrainiert werden.
Navigation: Eine GPS-unabhängige Navigation gewinnt zunehmend an Bedeutung. Erkenntnisse aus dem Ukraine Krieg unterstreichen dies. Aktuell werden mehrere KI-gestützte Ansätze erforscht und in Realsystemen erprobt. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Allen Ansätzen gemein ist, dass sie verschiedene Navigationsmethoden kombinieren, um die Genauigkeit zu erhöhen. Ein KI-gestützter Karten-Gelände Vergleich und der Einsatz von Kreiselsystemen zur Richtungsbestimmung beispielsweise. Mittels vorgegebener Wegpunkte können Unbemannte Systeme damit auch heute bereits ohne Fernsteuerung hinreichend genau navigieren.
Die Systeme des deutschen Start-up Unternehmens Quantum Systems aus München sind ein gutes Beispiel für vorgenannte Fähigkeiten. Sie können Objekte im Gelände identifizieren und GPS-unabhängig navigieren. Ist eine Funkanbindung verfügbar, melden Sie aufgeklärte Ziele zurück. Falls nicht, bringen sie ihre Aufklärungsergebnisse physikalisch zurück zum Landeplatz. Quantum Systems betreibt mittlerweile bereits zwei Werke in der Ukraine. Zukünftig sollen hier bis zu eintausend Drohnen pro Jahr produziert werden. Bei der KI-Entwicklung arbeitet das Unternehmen eng mit dem thüringischen Start-up Spleenlab zusammen.
Lagebeurteilung: Gemeinsam mit der Firma Airbus Defence and Space und dem Berliner Start-up Deepset arbeitet das Kommando Streitkräftebasis aktuell daran, taktische Verhaltensmuster in Generative KI-Systeme einzutrainieren. Ein speziell hierfür entwickeltes Gefechtsfeldsimulationssystem wird verwendet, um für gegebene Lagen Gefechtsverläufe zu berechnen. Mit diesen wird ein Generatives KI-System so trainiert, dass taktische Fragen, im Kontext einer Lage, sinnvoll beantwortet werden können. Diese neue Fähigkeit kann mit wenigen Anpassungen auch zur Steuerung Unbemannter Systeme verwendet werden. Diese werden damit befähigt, sich taktisch sinnvoll auf dem Gefechtsfeld zu bewegen. Eine Fähigkeit die bisher ausschließlich dem Menschen vorbehalten ist.
Interaktion: Die Entwicklung Generativer KI-Systeme schreitet mit großer Geschwindigkeit voran. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein neues KI-Modell herauskommt, welches wieder besser als sein Vorgänger ist. Chatbots sind in der Lage Antworten zu liefern, die denen eines Menschen ebenbürtig sind. Roboter können sprachliche Anweisungen verstehen und umsetzen. Erstmalig ist es möglich – auf natürliche Weise – mit einem Computer zu interagieren. Mittels Texteingabe oder natürlicher Sprache. Auch eine Kommunikation mit Gesten ist vorstellbar. All das lässt sich auch auf die Interaktion mit Unbemannten Systemen übertragen, was auch hier ganz neue Möglichkeiten eröffnet.
Human-Machine Integrated Formations: In den US-Streitkräften wird derzeit ein neues Konzept zum Einsatz Unbemannter Systeme untersucht. Dieses geht über die bisherigen Vorstellungen weit hinaus. Unbemannte Systeme sollen demnach integraler Bestandteil militärischer Einheiten werden und eigenständig Aufträge erledigen können. Gegen erkannten Feind sollen, wo immer möglich, Unbemannte Systeme zum Einsatz kommen. Damit wird dem Schutz des eigenen Personals, auch unter demographischen Gesichtspunkten, höchste Bedeutung beigemessen. Ersten Erkenntnissen zur Folge ist ein gut funktionierendes, benutzerfreundliches, resilientes und leistungsstarkes IT-Netzwerk entscheidend für eine erfolgreiche Integration. Zudem müssen die Systeme über das richtige Maß an Autonomie verfügen. Wie das Konzept am Ende aussehen wird, ist derzeit noch unklar.
Die dargestellten Automatisierungsstufen befähigen Unbemannte Systeme, zunehmend auch ohne menschlichen Eingriff, Aufträge auszuführen. Der aktuell stattfindende Technologiehype um die Entwicklung Generativer KI-Systeme unterstützt diese Entwicklung. Gleiches gilt für die dynamische Technologieentwicklung im Umfeld des Krieges in der Ukraine. Insbesondere die Überlegungen um das Thema Human-Machine Integrated Formations lassen erkennen, welch große Bedeutung Unbemannten Systemen zukünftig beizumessen ist. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis das neue Einsatzkonzept auch in der NATO Anklang findet und international diskutiert wird.
Einsatz unbemannter Systeme bei ausgewählten Unterstützungskräften
In der Feldjägertruppe sind aktuell mehrere Unbemannte Systeme in Planung. Der bodengebundene Kleinroboter RABE beispielsweise. Ein elektrisch angetriebenes, geländegängiges Miniaturkettenfahrzeug mit Rundumkamerasystem und Nachtsichtfähigkeit, welches in unübersichtlichen Szenarien eingesetzt wird, um das vorhandene Lagebild zu verdichten. Ein weiteres Beispiel ist die Nanodrohne Black Hornet. Ein handtellergroßer Nanohelikopter mit hochauflösenden Optiken und Wärmebildkameras. Im Präzisionsschützenwesen kann die Black Hornet Beobachtungsergebnisse liefern und damit ebenfalls zu einem besseren Lagebild beitragen. Das größte Mitglied in der Familie Unbemannter Systeme der Feldjägertruppe wird das System MarshaL sein. Ein Langstreckenflieger mit Vertical Take Off and Landing Eigenschaften. MarshaL hat eine Flügelspannweite von drei Metern und soll die Feldjägertruppe bei der Überwachung kritischer Infrastruktur im rückwärtigen Raum sowie im Verkehrsleitnetz bei der Marschstraßenüberwachung unterstützen.
Auch bei den ABC-Abwehrkräften sind umfangreiche Überlegungen zum Einsatz Unbemannter Systeme im Gange. Im Bereich der ABC-Aufklärung stellt insbesondere die Überwachung von großen Räumen eine erhebliche Herausforderung dar. Aktuell kann der Auftrag nur punktuell und zeitlich begrenzt mittels fahrzeuggestützter Sensorik durchgeführt werden. Ein über einen ganzen Gefechtsstreifen hinweg aufgespanntes Sensornetzwerk aus Unbemannten Systemen dahingegen, könnte eine flächendeckende kontinuierliche Detektion von Kampf- und Gefahrstoffen ermöglichen. Gleichermaßen werden auch im Bereich der Kontaminationsüberwachung Anwendungsmöglichkeiten gesehen. Derzeit müssen die Grenzen eines kontaminierten Gebiets durch Einzelmessung bestimmt und nach meteorologischer Verschiebung aufwändig nachgemessen werden. Unbemannte Systeme könnten die räumlichen Grenzen der Kontamination mittels Schwarmintelligenz kontinuierlich bestimmen und die gewonnenen Daten für die ABC-Abwehrberatung echtzeitnah der Truppenführung bereitstellen.
Die Logistiktruppe beabsichtigt durch den Einsatz Unbemannter Systeme einen Fähigkeitsgewinn in den Bereichen Transport und Lagerhaltung zu erzielen. Technologisch kommt dabei den Parametern Reichweite und Traglast eine besondere Bedeutung zu. Die Integration in bestehende militärische Systeme ist zu gewährleisten. Zudem ist auf sichere und resiliente Kommunikation, einfache Wartung und witterungsunabhängigen Betrieb zu achten. Ziel ist es, zusätzliche Fähigkeiten als Add-on zur konventionellen Transportdurchführung zu generieren und damit an Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Kapazität zu gewinnen sowie den ohnehin knappen Personalkörper von nicht originären Aufgaben freizumachen. Im Krisen- und Kriegseinsatz kommt es besonders darauf an, schwierige bzw. gefährliche Geländeabschnitte zu überwinden und auf Lageänderungen ad-hoc reagieren zu können. Für den Einsatz in Deutschland rücken Aufgaben des innerbetrieblichen Transportes sowie des autonomen Güterverkehrs zwischen Bundeswehrliegenschaften in den Fokus der Untersuchungen. So sind es vor allem standardisierte Transportprozesse und -wege sowie Routineaufgaben innerhalb der Einrichtungen der Depotorganisation, die zukünftig durch Unbemannte Transportsysteme abzuleisten sind.
Erkenntnisse
Unbemannte Systeme sind ein logischer Schritt in der fortschreitenden Automatisierung mechanisierter Waffensysteme. Gegenüber klassischen, mit Menschen besetzten, Systemen bieten sie vielfältige Vorteile. Da auf Schutz weitgehend verzichtet werden kann, können sie kleiner und leichter gebaut werden. Das wiederum macht sie schneller und wendiger. Ideale Abwehrsysteme existieren derzeit nicht. Zudem können Unbemannte Systeme, in Schwärmen eingesetzt, die gegnerische Abwehr überfordern. Bewaffnete Drohnen können lange Zeit über dem Zielgebiet kreisen (loitern), eigenständig Ziele aufklären und bekämpfen. Die Zeit zwischen Aufklärung und Bekämpfung kann hierdurch deutlich reduziert werden, was einen entscheidenden Vorteil in der Bekämpfung beweglicher Ziele darstellt.
Mehrfach bewährt haben sich Dual Use Systeme. Sie sind deutlich kostengünstiger als militärische Spezialprodukte und können, zweckmäßig adaptiert, effektvoll eingesetzt werden. Zudem sind durch die geringen Herstellungskosten deutlich höhere Stückzahlen realisierbar. Die vielfältig genutzten First-Person-View-Drohnen sind ein gutes Beispiel dafür, dass Krieg auch immer eine wirtschaftliche Dimension hat. Die Fähigkeit mit kostengünstigen Drohnen teure Waffensysteme zu zerstören, wird zunehmend als Paradigmenwechsel in der Gefechtsführung landbasierter Operationen verstanden. Aktuelle Beobachtungen im Ukraine Krieg unterstreichen diese Einschätzung.
Die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Industrie und Militär trägt maßgeblich zum Einsatzerfolg moderner Waffensysteme bei. Geistige Beweglichkeit, Ideenreichtum und Mut für neue und unkonventionelle Ansätze bilden die Basis für eine erfolgreiche Fähigkeitsentwicklung. Maßnahmen und Gegenmaßnahmen in der Anpassung bestehender Waffensysteme sind im Ukraine Krieg an der Tagesordnung. Wer hier schneller ist, hat Vorteile im Gefecht. Die eingesetzten Systeme müssen diese Anpassbarkeit mitbringen. Insbesondere Software muss in kurzen Zyklen angepasst, getestet, zertifiziert und wiedereingesetzt werden können. Ein Aspekt der aktuell unter dem Begriff „Software Defined Defence“ intensiv diskutiert und untersucht wird.
Aktuelle Kriege und die Entstehung Generativer KI-Systeme haben die Entwicklung Unbemannter Systeme massiv beschleunigt. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Die aktuell stattfindende Erhöhung des operativen Tempos, die spürbar veränderte Bedrohungslage als auch die demographische Entwicklung erfordern zunehmend den Einsatz Unbemannter Systeme. Die Automatisierung von Objekterkennung, Navigation, Lagebeurteilung und der Interaktion mit dem Menschen stellen Schlüsselfähigkeiten dar, die es rasch weiterzuentwickeln gilt. In Anlehnung an das amerikanische Human-Machine Integrated Formations Konzept müssen eigene Konzepte für den Einsatz Unbemannter Systeme entwickelt werden.