Erstveröffentlichung:
CPM Sonderausgabe Landstreitkräfte 12/2021
Europäische Sicherheit und Technik 03/2022
Letzte Aktualisierung:
28.03.2022
Autoren:
Thomas Doll, Ugur Uysal
Der Artikel befasst sich mit der Frage wie auf die erkannte Anti-Access/Area Denial (A2/AD) Bedrohung Russlands angemessen reagiert werden kann, welche Fähigkeiten zukünftig in der Dimension Land bereitgestellt werden müssen und wo ggf. effektive Schnittstellen und Zugriffsmöglichkeiten zu anderen Dimensionen geschaffen werden müssen, um dieser Bedrohung zu begegnen. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist eine vorangestellte Analyse der Bedrohungslage und eine dezidierte Betrachtung des US-amerikanischen Multi-Domain-Operations-Konzepts.
Eine neue Bedrohungslage
Mit dem militärischen Wiedererstarken Russlands muss sich die NATO nach einer fast 20-jährigen Periode von Stabilisierungseinsätzen wieder auf einen Konflikt mit einem gleichwertigen Gegner und damit auf ihren Kernauftrag der NATO Bündnisverteidigung einstellen. Die derzeit größte Bedrohung geht hierbei von den Abstandsfähigkeiten des Gegners im Bereich seiner Mittel- und Langstreckenwaffen aus. Diese befähigen ihn bis tief ins Bündnisgebiet der NATO hineinzuwirken und bereits aus großer Distanz eigenen Truppen ihre Bewegungsfreiheit zu nehmen. Eigenen Kräften kann mit dieser A2/AD Fähigkeit Aufmarsch und Zugang zu wichtigen Schlüsselräumen verwehrt werden. Im Folgenden werden drei ausgewählte Elemente dieser Fähigkeit genauer betrachtet.
Weltraumgestützte Aufklärung
Als eine der ersten Raumfahrtnationen verfügt Russland seit jeher über umfassende Fähigkeiten zur Operation im Weltraum. Seine Marktführerschaft als Provider von Satellitenstarts verlor das Land erst in jüngster Zeit. Russland hat seine Fähigkeiten in diesem Bereich aber keineswegs nur als Dienstleister zur Verfügung gestellt, sondern auch immer schon eigene Satellitenfähigkeiten auf- und ausgebaut. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl der in Nutzung befindlichen Systeme im Dual-Use auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Den russischen Streitkräften stehen damit flächendeckende Aufklärungs- und Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung, die bis tief in das Bündnisgebiet der NATO hineinreichen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind diese Systeme auch in der Lage, Zieldaten für die im großen Umfang verfügbaren Mittel- und Langstreckenwaffensysteme des Landes zu liefern.
Weitrechende Wirkmittel
Bereits zu Zeiten des Kalten Krieges hat sich Russland, im damaligen Wettrüsten, intensiv mit Raketentechnologie auseinandergesetzt und Fähigkeiten zum Wirken in die Tiefe des gegnerischen Gefechtsraums bis hin zu ballistischen Interkontinentalraketen aufgebaut. Die technologischen Fähigkeiten zum Bau entsprechender Systeme sind in Russland zweifelsfrei auch heute noch vorhanden. Nach Überwindung des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Warschauer Pakts baute Russland seine Fähigkeiten im Bereich weitreichender Waffensysteme konsequent weiter aus und verfügt heute über ein umfängliches Arsenal an zum Teil punktgenau wirkenden Systemen unterschiedlicher Kategorie. Hierzu zählen:
- Raketenartilleriesysteme mit Reichweiten bis 500km
- Hyperschallsysteme verschiedener Bauart und Reichweiten
- Langstreckensysteme mit Reichweiten über 1000km bis hin zu Interkontinentalraketen
Integriertes Flug- und Raketenabwehrsystem
Die russischen Streitkräfte verfügen über leistungsfähige integrierte Flug und Raketenabwehrsysteme, um Luftstreitkräften und Marschflugkörpern der NATO den Zugang zu den eigenen Lufträumen zu verwehren. Solche Systeme sind ein gestaffelter Zusammenschluss unterschiedlicher Plattformen bestehend aus Boden-Luft Raketen, Radaren und Führungsfahrzeugen. Systeme kurzer, mittlerer und langer Reichweite ergänzen sich gegenseitig und können, in der Bekämpfung unterschiedlicher Ziele auf unterschiedliche Entfernungen, ihre jeweiligen Stärken zur Wirkung bringen. Bei Bedarf wird das System zusätzlich durch Luftüberlegenheitsjäger, Systeme zur elektronischen Kampfführung und durch mobile Flugabwehrsysteme kürzerer Reichweite ergänzt. Es ist davon auszugehen, dass Russland, auch gegen überlegende Gegner, in der Lage ist, die Luftüberlegenheit zu erlangen und zu erhalten. Die gegnerischen Landstreitkräfte verfügen damit über die notwendige Bewegungsfreiheit zur Durchsetzung Ihrer Ziele[1].
[1] Major Peter W. Mattes, What is a Modern Integrated Air Defense System, Oktober 2019
Die Antwort der U.S. Army (Multi-Domain Operations)
Konzept und Doktrin Entwicklung
Die Idee zur Durchführung von Multidimensionalen Operationen wurde erstmals 2018 im Multi-Domain Operations Konzept der U.S. Army beschrieben. Neben einer glaubwürdigen Abschreckung unterhalb der Schwelle eines konventionellen Konflikts zielt das Konzept vor allem auch auf ein reaktionsschnelles, militärisches Eingreifen ab. Feindlichen „Fait accompli Operationen“ (Operationen zur Schaffung eines Zustands vollendeter Tatsachen) soll damit frühzeitig entgegengewirkt und eine weitere militärische Eskalation verhindert werden. Im Kern beschreibt das Konzept ein Vorgehen in fünf Phasen, bei dem die Landstreitkräfte eine führende Rolle einnehmen. Die Phasen lauten wie folgt:
Competition: In dieser Phase sollen unterhalb der Schwelle bewaffneter Auseinandersetzungen eigene Interessen ohne Eskalation der Gewalt durchgesetzt werden. Die lückenlose Überwachung potenziell feindlicher Kräfte und Fähigkeiten stellt dabei sicher, dass eigene Kräfte, wenn nötig schnell in eine bewaffnete Auseinandersetzung übergehen können. Feindlichen Aktivitäten soll so angemessen begegnet und der Gegner frühzeitig von einer militärischen Eskalation abgebracht werden. Neben der durchgängigen Überwachung feindlicher A2/AD Systeme kommt es in dieser Phase besonders auf die Aufklärung und Abwehr von verdeckten Cyber- und Informationsoperationen an.
Penetrate: Wenn die in der Phase „Competition“ getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der militärischen Eskalation nicht erfolgreich waren, werden in der Phase „Penetrate“ feindliche A2/AD Langstreckensysteme sofort neutralisiert. Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um strategische und operative Truppenverlegungen in den Einsatzraum durchführen zu können. Ziel dieser Maßnahme ist es, dem Gegner die Durchführung von Fait accompli Operationen zu verwehren und den Aufwuchs eigener Kräfte vor Ort zu ermöglichen.
Dis-Integrate: In dieser Phase werden in besonders wichtigen Geländeabschnitten feindliche A2/AD-Mittelstreckensysteme neutralisiert, um die Voraussetzungen für eigene Truppenbewegungen auf taktischer Ebene zu schaffen. Da es unwahrscheinlich ist, die feindlichen A2/AD Systeme vollständig zu neutralisieren, müssen eigene Kräfte über leistungsfähige Flug- und Raketenabwehrsysteme verfügen.
Exploit: In der Phase Exploit sollen sich bietende Gelegenheiten, ohne Zeitverzug genutzt werden, um den eigenen Handlungsspielraum weiter auszuweiten. Dies hindert den Gegner daran, seine A2/AD Systeme zu reintegrieren und eigene Raumverluste auszugleichen.
Return to Competition: In dieser Phase soll der gewonnene militärische Handlungsspielraum genutzt werden, um das Erreichen der strategischen Ziele zu begünstigen. Es gilt an den Verhandlungstisch zurückzukehren und den zukünftigen Frieden auszuhandeln. Das entstandene neue Sicherheitsumfeld dient hierbei der langfristigen Abschreckung vor einem erneuten bewaffneten Konflikt.
Multi-Domain-Task-Force
Erste Schritte zum Umsetzung des Multi-Domain Operations Konzepts sehen die zeitnahe Aufstellung von zwei neuen US-amerikanischen Truppenköpern in Wiesbaden vor. Die Multi-Domain-Task-Force Europe und das Theater-Fires-Command Europe. Ihr Auftrag ist es, dimensionsübergreifende Effekte in Europa zu synchronisieren und bei Bedarf zur Wirkung zu bringen. Im Falle eines Konflikts soll so allen eigenen Land-, Luft- und Seestreitkräften die notwendige Handlungsfreiheit ermöglicht werden.
Das neue Element der Multi-Domain-Task-Force Europe verfügt über Fähigkeiten zum Operieren in folgenden Domänen und mit folgenden Systemen:
- Aufklärung
- Cyber- und Informationsraum
- Elektronische Kampfführung
- Weltraum
- Luftverteidigung
- Raketensysteme mittlerer Reichweite
- Hypersonische Waffensysteme langer Reichweite
Die erforderliche Führungsfähigkeit wird durch das übergeordneten Theater-Fires-Command Europe breitgestellt. Die US-amerikanischen Streitkräfte leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau erster A2/AD Gegenmaßnahmen in Europa.
Kernfähigkeiten zukünftiger Landstreitkräfte
Auch wenn moderne Konflikte grundsätzlich übergreifend in den Dimensionen Land, Luft/Weltraum, See sowie Cyber- und Informationsraum ausgetragen werden, entschieden werden sie dort, wo Gesellschaften leben, arbeiten und politisch handeln – in der Dimension Land. Landstreitkräfte bleiben daher das entscheidende militärische Instrument der politischen Leitung. Gleichwohl verändert sich in Multidimensionalen Operationen das Wechselspiel und die Interdependenz der Dimensionen zueinander. Um Ihren Kernauftrag erfüllen zu können werden Landstreitkräfte zukünftig schneller und unmittelbarer auch auf Fähigkeiten anderer Dimensionen zurückgreifen müssen.
Die Operation verbundener Kräfte, das Führen mit Auftrag, der Vernetzte Ansatz und das Wirkungsorientierte Denken sind die Grundprinzipien der Truppenführung deutscher Landstreitkräfte. Diese behalten auch in Multidimensionalen Operationen ihre Gültigkeit, werden aber, sofern nötig weiterentwickelt und angepasst. Im Fokus der Betrachtung stehen hierbei zunächst die Ebenen Korps und Division. Insbesondere diese müssen befähigt werden dimensionsübergreifende Operationen planen, koordinieren und führen zu können. Im Folgenden werden die wichtigsten Kernfähigkeiten einer zur Multidimensionalen Operation befähigten Division deutscher Landstreitkräfte beschrieben.
Durchgängige Feuerunterstützung hoher Reichweite: Um zukünftig in stark überdehnten Räumen Wirkungsüberlegenheit erreichen zu können, ist eine durchgängige und verlässliche Feuerunterstützung für alle Ebenen durch organische Feuerunterstützungsmittel erforderlich. Um sowohl eine flächendeckende Unterstützung als auch eine gebündelte Schwerpunktbildung zu ermöglichen sind weitreichende Rohr- und Raketenartilleriesysteme mit Reichweiten von 75 Kilometern bzw. 300 Kilometern plus erforderlich. Diese hohen Reichweiten sind insbesondere auch erforderlich, um sich gegen feindliche A2/AD Fähigkeiten durchsetzen zu können. Um auch Effektoren aus anderen Dimensionen rasch und unkompliziert einbinden zu können, sind Koordinierungselemente mit dimensionsübergreifenden Schnittstellen erforderlich.
Durchsetzungsfähige Aufklärungsmittel hoher Reichweite: Die beschriebene Fähigkeit auf Entfernungen von bis zu 300 Kilometern plus wirken zu können erfordert im Umkehrschluss auch entsprechend weitreichende Aufklärungsfähigkeiten. Erreicht werden kann dies zum einen durch den Aufbau eigener satellitengestützter Aufklärungskomponenten oder aber durch den Aufbau von luftgestützten Aufklärungsfähigkeiten hoher Reichweite. Da diese Systeme tief in die gestaffelte gegnerische A2/AD Abwehr eindringen, müssen sie robust ausgelegt sein und über weite Strecken automatisiert operieren können. Darüber hinaus sollte auch über automatisierte bodengebundene schwarmfähige Sensorverbünde nachgedacht werden. Diese können entweder in großer Stückzahl von Luftfahrzeugen abgeworfen, oder aber selbst mittels Raketen oder Lenkflugkörper in das Einsatzgebiet verbracht werden.
Elektronischer Kampf hoher Reichweite: Bestimmendes Merkmal des Elektronischen Kampfs hoher Reichweite die Abstandsfähigkeit. Sowohl Aufklärungs- als auch Wirksysteme müssen auf Entfernungen bis 300 Kilometer plus operieren können. Im Bereich Wirkung sind hierzu geschützte bodengebundene, vor allem aber auch unbemannte luftgebundene Fähigkeiten vorzusehen. Zu ihren Aufgaben zählen das Stören, Täuschen und Neutralisieren gegnerischer Kommunikation, Aufklärungssysteme, Zielerfassungs-, Zielverfolgungs-, Zielbekämpfungs-, und Navigationssysteme. Weitere Einsatzoptionen zum offensiven Elektronischen Kampf hoher Reichweite bieten zukünftige Hochenergiewaffensysteme wie Laserwaffen und High-Power-Electro-Magnetics-Wirksysteme.
Schutz gegen Bedrohung aus der Luft: Unter A2/AD Bedingungen kommt insbesondere auch dem Schutz gegen die Bedrohung aus der Luft besondere Bedeutung zu. Zum Aufbau der erforderlichen Fähigkeit bedarf es einer konsequenten Umsetzung des Dreiklangs von integrierter Luftverteidigung, qualifizierter Fliegerabwehr und flächendeckender Selbstschutzfähigkeit von Landsystemen. Hierbei sind Sensoren und Effektoren aller Dimensionen zu verknüpfen, so dass Synergien in der Aufklärung genutzt und Effektoren gezielt und zeitgerecht zur Wirkung gebracht werden können. Die Potenziale des Elektromagnetischen Spektrums sind, wo immer möglich, zu nutzen.
Erweiterung der STF-Koordinierungselemente: Die bewährte Joint-Fire-Support-Coordination-Group ist das zentrale Koordinierungselement der Landstreitkräfte zur Sicherstellung der streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung. Dieses gilt es zu einem Effect-Coordination-and-Control-Center auszubauen. Die Ebene Division wird damit befähigt, letale und nicht-letale, kinetische und nicht-kinetische, physische und psychische Effekte über mehrere Dimensionen hinweg zu integrieren und zu führen. Im Sinne eines effektiven und effizienten Sensor-to-Effector Einsatzes müssen auch Effektoren aus anderen Dimensionen, ohne lange Vorlaufzeiten, genutzt werden können. Entscheidungsunterstützende Systeme bewerten deren Einbindung und unterbreiten sinnvolle Vorschläge. Wirkketten und Bekämpfungsabläufe können somit beschleunigt und optimiert werden, ohne die Koordinierungsleistung auf einer zu tiefen taktischen Ebene zu verorten. Unterhalb der Divisionsebene sind Multi-Domain Support-Coordination-Elemente zu implementieren, die die unmittelbare Wirkungsunterstützung aus anderen Dimensionen koordinieren und sicherstellen.
(Bewaffnete) unbemannte Systeme: Unbemannte Systeme leisten einen wesentlichen Beitrag zum wirkungsorientierten Operieren, ohne eigene Kräfte zu exponieren. Bewaffnete unbemannte Systeme bieten den taktischen Kräften zudem eine Möglichkeit die Anzahl der einsetzbaren Effektoren, um ein Vielfaches zu erhöhen und dem „Mangel an Masse“ entgegenzuwirken. Um die Entscheidungshoheit über den Einsatz von Wirkmitteln unbemannter Systeme auf den militärischen Führer zu beschränken, muss mit dem Automatisierungsgrad „human IN the loop“ und kann mit dem Automatisierungsgrad „human ON the loop“ operiert werden. Der autonome Einsatz unbemannter Systeme („human OUT OF the loop“) ist derzeit für deutsche Landstreitkräfte ausgeschlossen. Im Sinne einer zielgerichteten Rüstung sollte insbesondere zum Schutz eigener Kräfte davon ausgegangen werden, dass potenzielle Gegner gegebenenfalls nicht vor dem Einsatz autonomer Systeme zurückschrecken.
Einsatz von KI zur Beschleunigung des Führungsprozesses: Der Einsatz von KI im Führungsprozess bietet das Potenzial zur schnelleren und präziseren Führung von Landstreitkräften im künftigen Operationsumfeld. Die Methoden und Verfahren der KI werden hierbei nur als Entscheidungsunterstützungssystem, also nur als beratendes Instrument eingesetzt. Mit der KI-gestützten Bildauswertung z. B. kann bereits im Sensor eine erste Objekterkennung und -identifizierung erfolgen, wodurch der Prozess der Lagefeststellung erheblich beschleunigt werden kann. Die schnellere Bereitstellung eines belastbaren Lagebildes als Grundlage der Entscheidungsfindung gewährleistet Informationsüberlegenheit. Weiterer KI-Verfahren können beim Entwickeln der vermuteten Feindabsicht oder beim Entwickeln der eigenen Möglichkeiten des Handelns eingesetzt werden. Unter anderem kann damit auch die dimensionsübergreifende und gegebenenfalls optimierte Abfolge von Wirkmitteln vorschlagen werden. Entscheidungen im Führungsprozess werden unverändert durch den militärischen Führer getroffen.
Überlegungen zur Zukunfts- und Weiterentwicklung
Auch wenn hier nur ein ausgewählter Anteil der insgesamt betrachteten Fähigkeiten dargestellt ist, so wird doch deutlich wie umfassend die erforderlichen Anpassungen sind und welche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die notwendige Befähigung zu erreichen. Die A2/AD Bedrohung zwingt den Verteidiger zum einen zur Aufrüstung weitreichender Waffensysteme, mit denen auf Abstand Wirkung erzeugt werden kann. Zum anderen müssen Fähigkeiten vorgehalten werden, die es ermöglichen den Gegner abzuhalten Fait accompli Operationen durchzuführen. Ob dies, wie im Multi-Domain Operations Konzept der U.S. Army angedacht, durch den frühzeitigen Einsatz eigener Truppenteile innerhalb der gegnerischen A2/AD Wirkzone gelingen kann, muss weiter untersucht werden. Mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln wäre dies vermutlich nur unter Inkaufnahme sehr hoher Verluste möglich.
Der neuen Abstandsfähigkeit des Gegners kann nur mit gleichermaßen leistungsfähigen Wirksystemen großer Reichweite begegnet werden. Weitreichende Aufklärungsmittel müssen die für die Bekämpfung erforderliche Lageinformation als auch die erforderlichen Ziele liefern. Ein leistungsfähiges integriertes Luftverteidigungssystem muss den notwendigen Schutz gegen die feindlichen Bedrohungen aus der Luft leisten. Dies sind die drei wichtigsten Kernfähigkeiten einer zur Multidimensionalen Operation befähigten Division deutscher Landstreitkräfte. Alle anderen Fähigkeiten ordnen sich diesen unter. Diese Zusammenhänge sind auch bereits in der NATO diskutiert und erkannt worden. Die Forderungen zur Aufklärung und Wirkung bis in eine Tiefe von 300 Kilometern plus beispielsweise sind den aktuellen NATO Planungszielen entnommen. Langfristig gehen die Forderungen der NATO sogar über diese Ziele hinaus und streben Reichweiten von bis zu 500 Kilometern an. Bestimmendes Maß sind hierbei die sich stetig weiterentwickelnden Fähigkeiten potenzieller Gegner.
Way ahead
Deutsche Landstreitkräfte müssen langfristig zur Durchführung Multidimensionaler Operationen befähigt werden. Neben der Rüstung der oben genannter Fähigkeiten wird hierzu eine tiefe Integration über alle Führungsebenen und Dimensionen hinweg erforderlich sein. Die Bedeutung der Luftverteidigung für den Einsatz der Landstreitkräfte in Multidimensionalen Operationen ist ein gutes Beispiel. Die zukünftige Bedeutung der weitreichenden Zielaufklärung für den Einsatz von Rohr- und Raketenartilleriesystemen ist ein weiteres Beispiel. Heer und Luftwaffe müssen zukünftig so eng verzahnt operieren als seien sie in einer gemeinsamen Teilstreitkraft, oder gar in einem gemeinsamen Korps oder einer gemeinsamen Division verortet. Ähnliches gilt für die Dimension des Cyber- und Informationsraums als auch für alle anderen Dimensionen.
In Multidimensionalen Operationen werden zukünftig alle Dimensionen auf gegenseitige, flexible und kurzfristige Unterstützung angewiesen sein. Der Dimension Land kommt hier, aus den vorgenannten Gründen, eine besondere Bedeutung zu. Dort, wo Fähigkeiten nicht unmittelbar in die Landstreitkräfte integriert werden können, ist sicherzustellten, dass Effektforderungen im Führungsprozess und in der Führungsstruktur bereits auf taktischer Ebene abgebildet werden. Hierzu ist eine Harmonisierung der dimensionsübergreifenden Planungs- und Führungsprozesse zum Wirken und zur Effektkoordination erforderlich. Voraussetzung ist das Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses von Multidimensionalen Operationen über alle Dimensionen hinweg.
Die deutschen Landstreitkräfte zur Durchführung von Multidimensionalen Operationen zu befähigen kann als die große Herausforderung der nächsten Dekaden verstanden werden. In Anbetracht der erkannten Bedrohungslage müssen einige Maßnahmen zeitnah entschieden und umgesetzt werden. Ohne gesellschaftlichen Rückhalt und politischen Willen wird dieses Ziel nicht erreicht werden können. Die Souveränität unseres Landes hängt wesentlich von seiner Fähigkeit zur Verteidigung der äußeren Sicherheit ab. Die deutschen Landstreitkräfte können Ihren Beitrag nur leisten, wenn die erkannten Fähigkeitslücken rasch geschlossen werden.