Landstreitkräfte der Zukunft – Automation von heute für das Gefecht von morgen!

Erstveröffentlichung:
Europäische Sicherheit und Technik 08/2020

Letzte Aktualisierung:
02.04.2022

Autoren
Uwe Beyer, Thomas Doll

Das Gefecht von morgen – ein Szenario

Oberleutnant Hertel wird durch einen eindringlichen Alarmton seines Panzers geweckt. Er ist sofort hellwach. Hertel sichert mit seinem automatischen Ein-Mann-Panzer bereits seit 36 Stunden eine Straße an der linken Flanke des Gefechtsstreifens seines Bataillons. Ein Blick auf den Lageschirm zeigt, dass der Gegner aus nördlicher Richtung mit mehreren Gefechtsfahrzeugen (Klassifikationssicherheit 96%) in derzeit 3480m Entfernung mit hoher Geschwindigkeit (53 Km/h) auf seine Stellung zufährt. Die vorgelagerten Aufklärungssysteme liefern fortwährend Lageupdates.

Eines der Fahrzeuge hat mit 80% Wahrscheinlichkeit einen Mess-Laser auf Hertels Panzer gerichtet. Da die aufgeklärten Ziele in der freigegebenen Feuerzone liegen, bekämpft das automatische Waffensystem die beiden ersten Gefechtsfahrzeuge mit der Hauptwaffe. Das Sichtsystem hat vor 8,3 Sekunden mit 70% Wahrscheinlichkeit eine gegnerische Drohne beobachtet, die ein Zielradar auf Hertels Panzer gerichtet hat. Kurze Zeit später startet das automatische Waffenmanagement von Hertels Panzer eine zielsuchende Rakete.

Der Gegner setzt weiträumig Störsender ein. Eine Funkübertragung ist auf keinem Frequenzband mehr möglich. Das bordeigene Battle Management System beauftragt daher zwei Kurierdrohnen, eine Meldung über die aufgeklärten Feindkräfte in den rückwärtigen Informationsraum abzusetzen. Die erforderliche Navigation erledigen die Drohnen vollkommen eigenständig. Sie koordinieren untereinander und berücksichtigen alle vorliegenden Lageinformationen, um die erforderliche Flugstrecke möglichst sicher und schnell zurückzulegen.

Dem automatischen Fahrsystem seines Panzers befiehlt Hertel den Wechsel in eine rückwärtige Stellung. Zusätzlich weist er Tarn- und Täuschmaßnahmen an. Die Wirkmittelfreigaben für seine automatische Waffenanlage ändert er so, dass vorrangig Bodenziele, die sich auf der zu sichernden Straße bewegen, bekämpft werden. Als er merkt, dass das System Orientierungsschwierigkeiten hat, greift er ein, um während des Stellungswechsels eine möglichst gute Deckung sicherzustellen.

Kurz darauf fahren drei weitere Panzer aus Hertels Zug in die Stellung ein. Die Fahrzeuge sind optisch gekoppelt und tauschen fortwährend Informationen aus. Wenige Augenblicke später ist der Verteidigungsriegel gegen die angreifenden Feindkräfte einsatzbereit.

Von der Dampfmaschine zur Künstlichen Intelligenz

Ohne das automatische Verrichten von Arbeiten durch Maschinen ist eine moderne Gesellschaft undenkbar. Dies gilt sowohl für alle Bereiche des zivilen Lebens als auch, im Besonderen, für moderne Landstreitkräfte. Die Automation von Führungs-, Aufklärungs-, Waffen- und Logistiksystemen hat sowohl zu Steigerungen der Durchhaltefähigkeit als auch zu Steigerungen der Kampfkraft geführt, ohne die eine moderne Armee heute nicht mehr konkurrenzfähig wäre.

Begonnen hat der Prozess bereits um ca. 1800 mit der Erfindung der Dampfmaschine und der sich daraus ergebenden Industriellen Revolution. Während in den Anfangsjahren vorrangig körperliche Fähigkeiten des Menschen durch Maschinen ersetzt wurden, waren es später, mit Erfindung der Elektrizität und der Regelungstechnik, auch zunehmend kognitive Fähigkeiten, die ersetzt werden konnten. Dem Fortschritt waren hier allerdings über viele Jahrzehnte hinweg deutliche Grenzen gesetzt. Zumindest bis zur Erfindung der integrierten Schaltung und dem daraus erwachsenen Computerzeitalter. Die digitale Regelungstechnik eröffnete bis dahin ungeahnte Möglichkeiten. Die erfolgreiche Landung einer Raumkapsel auf dem Mond wäre ohne Computertechnik wohl kaum möglich gewesen.

Automation ist also nichts Neues, sie entwickelt sich aber weiter. Wer hier nicht konsequent am Ball bleibt, wird rasch Fähigkeitslücken besitzen. Der im Jahr 2012 erreichte Durchbruch im Bereich der Künstlichen Intelligenz als auch die aktuellen Anstrengungen im Bereich der Digitalisierung schaffen derzeit entscheidende Grundlagen für die zwingend erforderliche Steigerung der Automation auf dem Gefechtsfeld.

Treiber der Automation im militärischen Umfeld

Für den Einsatz von Automation im militärischen Umfeld lassen sich die im Folgenden beschriebenen Treiber identifizieren.

Beispiele für die schrittweise Automation wichtiger Funktionen von Waffensystemen, die teilweise erhebliche Veränderungen der Gefechtsführung zur Folge hatten.

Automation erhöht Durchhaltefähigkeit und Kampfkraft moderner Landstreitkräfte: Beginnend mit der Entwicklung automatischer Waffen hoher Kadenz, haben Panzer, Flugzeuge, Führungssysteme und viele weitere Entwicklungen deutlich gezeigt, dass Automation immer zu einer Überlegenheit im Gefecht führt. Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz lassen hier einen weiteren Entwicklungsvorschub erwarten. Landstreitkräfte, die diese Entwicklung zu spät umsetzen, werden rasch ernstzunehmende Fähigkeitslücken aufweisen. Automatische Systeme schlafen nicht, sie kennen keinen Stress und reagieren häufig deutlich schneller als der durchschnittliche Mensch.

Automation reduziert den Personalbedarf im Gefecht: Trotz der in 2016 eingeleiteten Trendwende Personal wird die erforderliche Personalstärke für eine umfassende Landes- und Bündnisverteidigung gegen einen hochautomatisiert ausgerüsteten Gegner auf lange Sicht nicht ausreichen. Die ebenfalls in 2016 eingeleitete Trendwende Material kann dieser Entwicklung nur entgegenwirken, wenn neue Waffensysteme einen möglichst hohen Automatisierungsgrad aufweisen. Die gezielte Reduzierung der Besatzungsstärken auf bemannten Systemen und der gezielte Einsatz von unbemannten Systemen werden hier eine entscheidende Rolle spielen.

Potenzielle Gegner treiben die Entwicklung von autonomen Waffensystemen konsequent voran: Dies betrifft sowohl die Weiterentwicklung der in Nutzung befindlichen konventionellen Waffensysteme als auch die Entwicklung neuer, zum Teil disruptiver Waffensysteme, die erst durch die fortschreitende Automation und die damit verfügbar gewordenen Technologien realisierbar werden. Beispiele hierfür sind KI-gestützte Waffensysteme mit eigenständiger Zielerfassung und Zielidentifikation. Sowohl in Duell- als auch in Abstandssituationen agieren diese Waffensysteme deutlich schneller als herkömmliche Systeme. Um den sich abzeichnenden Fähigkeitslücken frühzeitig begegnen zu können, müssen eigene Anstrengungen zum Aufbau entsprechender Abwehrsysteme als auch zum Aufbau eigener automatisierter Fähigkeiten unternommen werden.

Autonome vs. Automatisierte Waffensysteme

Per Definition führen Autonome Waffensysteme komplexe Aktionen ohne jegliche menschliche Einflussnahme, vollumfänglich eigenständig agierend, selbst lernend bzw. neue Regeln formulierend und damit nicht vorhersehbar aus. Automatisierte Waffensysteme dahingegen führen bestimmte Aktionen auf Grundlage vom Menschen programmierter Befehle als „Wenn-Dann-Operationen“ weitgehend vorhersehbar und regelbasiert aus[1].

Dem folgend kann es in der Bundeswehr eigentlich kein autonomes Waffensystem geben. Wer will schon ein Waffensystem, welches unvorhersehbar agiert? An dieser Stelle sei aber auch angemerkt, dass dies nicht den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) per se ausschließt. KI-gestützte Waffensysteme sind keineswegs zwangsläufig als autonom einzustufen. Im Gegenteil. Den richtigen Umgang vorausgesetzt und die richtigen Regeln befolgend spricht vieles dafür, KI-gestützte Waffensysteme als automatisiert einzustufen.

Auch wenn es uns manchmal so vorkommen mag – eine KI ist nicht in der Lage Entscheidungen zu treffen. Diese einzigartige Fähigkeit bleibt ausschließlich dem militärischen Führer und damit dem Menschen vorbehalten. Grundsätzlich gilt: „Der Mensch führt, die Maschine kämpft“; das jedoch möglichst automatisch. Nur so ist die zwingend erforderliche Beschleunigung der Prozesse auf dem Gefechtsfeld zu erreichen und nur so können die sich derzeit abzeichnenden Fähigkeitslücken in der Gefechtsführung konsequent geschlossen werden.

Automatisierte Waffensysteme werden vom Menschen eingesetzt, um eine relativ schmale Aufgabe nach klar definierten Vorgaben auszuführen. Im Falle des Flugabwehrsystems MANTIS[2] wäre dies beispielsweise die automatische Abwehr von anfliegenden feindlichen Flugkörpern und Flugzeugen in einem klar definierten Flugkorridor und Zeitfenster. Die Verantwortung über den Einsatz des Systems bleibt dabei immer beim militärischen Führer.

In sehr ambitionierten Automatisierungsvorhaben ist diese klare Abgrenzung zwischen Auftragserteilung an das Waffensystem und Verantwortungsübernahme durch den militärischen Führer, nach dem heutigen Stand der Technik, noch nicht vollständig erreichbar. Deshalb muss der Mensch im Mensch-Maschine-Verbund in etlichen Systemen auch heute noch solche Aufgaben durchführen, die die Maschinen zurzeit noch nicht ausführen können. So z. B. das Fahren in komplexen Situationen.

Es stellt sich die Frage, wie die Rüstungsstrategie zukünftiger Landstreitkräfte aussehen muss, um von den fortschreitenden Möglichkeiten der Automation umfänglich zu profitieren, sodass sich abzeichnende Fähigkeitslücken frühzeitig geschlossen werden können. Eine erste Antwort könnten, die im Folgenden skizzierten, drei Prinzipien liefern.


[1] Zitat aus „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften – Ein Positionspapier des Amts für Heeresentwicklung“, 2. Auflage vom November 2019

[2] MANTIS ist ein stationäres Luft-Nahbereichs-Flugabwehrsystem. Neben den klassischen Zielen der Flugabwehr, wie Flugzeuge und Hubschrauber, kann es sowohl gegen kleine Ziele wie Drohnen/UAVs und Lenkwaffen als auch gegen Raketen, Artilleriegeschosse und Mörser eingesetzt werden.

Prinzip 1: So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Automation führt in aller Regel dazu, dass Systeme komplexer und damit anfälliger für technische Defekte oder Fehlbedienung werden. Je höher die Automation, desto mehr Wartung, Schulung und kognitive Fähigkeiten des Bedieners sind erforderlich. Dies ist aus militärischer Sicht nicht erstrebenswert, da der Grundsatz „Bei gleicher Effektivität ist die einfachere Lösung immer die bessere“ verletzt wird und somit die Durchhaltefähigkeit sinkt.

Automation wird nur dann in Kauf genommen, wenn damit eine höhere Effektivität erreicht und die kognitive Last des Bedieners herabgesetzt werden kann. Ungeeignete Automation macht Systeme komplexer und anfälliger, ohne eine nennenswerte Kampfkraftsteigerung mitzubringen. Es gilt „So viel wie nötig, um besser zu werden, aber so wenig wie möglich, um einfach und robust zu bleiben.“ Automation ist also kein Selbstzweck, sondern muss immer einen Nutzen liefern, der sonst nicht erreichbar wäre.

So führt der Einsatz von elektronischen Motorsteuerungen z. B. dazu, dass Motoren nur noch mit spezialisiertem Werkzeug, der zugehörigen Software und umfangreichen Kenntnissen der jeweiligen Motormodelle repariert werden können. Diese Effekte sind aus rein militärischer Sicht unerwünscht, da eine Reparatur im Einsatz entsprechend erschwert wird. An vielen Stellen wird der Umstand aber billigend in Kauf genommen, da die elektronische Steuerung auch Vorteile schafft, die sonst nicht erreicht werden könnten. Ein Beispiel sind leichtere und leistungsstärkere Motoren, die aus der zivilen Entwicklung relativ einfach für die militärische Nutzung adaptiert werden können.

Prinzip 2: Schrittweise Erhöhung der Automation

In der historischen Entwicklung wurde die Automation über mehrere Stufen hinweg vorangetrieben und obwohl viele dieser Entwicklungen bereits Jahrzehnte zurück liegen sind sie auch heute noch von entscheidender Bedeutung, etwa bei der Entwicklung von „Remote and Automated Systems (RAS)“ , ein Begriff der etwas weiter gefasst ist als der im hiesigen Sprachraum üblicherweise verwendete Begriff des unbemannten Waffensystems.

RAS 1 – Mechanische Verstärkung: Beginnend mit der ersten vollautomatischen Waffe hat die Mechanische Verstärkung schrittweise die gesamte Militärtechnologie durchdrungen. Hierzu gehört insbesondere auch die intensive Nutzung von Mannschaftstransportwagen, Schützenpanzern, Panzerhaubitzen, Kampfpanzern und Kampfhubschraubern, um nur einige von unzähligen Beispielen zu nennen. Der Prozess dauert bis heute an und führt, z. B. durch die gezielte Leistungssteigerung von Motoren oder verbesserten Waffenstabilisierungsanlagen, immer noch zu einer inkrementellen Steigerung der Kampfkraft. Mechanisierung führt dazu, dass Tätigkeiten schneller und mit mehr Leistung ausgeführt werden können.

Die Mechanische Verstärkung schafft Kampfkraft, indem sie dem Soldaten manuelle Tätigkeiten abnimmt.“

RAS 2 – Kognitive Verstärkung: Mit der Entwicklung elektromechanisch bedienbarer Systeme sowie kabel- und funkgebundenen Übertragungsstrecken reichen die Anfänge der Entwicklung von „RAS 2 Systemen“ bis in die 1940er Jahre zurück. Die ursprünglich rein mechanischen Waffensysteme können erstmals mittelbar „elektrisch“ gesteuert werden. Ein einzelner Bediener ist damit in der Lage mehre Subsysteme alleine zu bedienen. Zudem können Systeme auch über weitere Strecken fernbedient werden. Seit etwa 1990 – mit Verfügbarkeit der modernen Informationstechnik – befinden sich alle Streitkräfte in einer Phase, in der sie durch intensive Weiterentwicklung der Kognitiven Verstärkung ihre Kampfkraft und ganz aktuell auch ihre Verbundwirkung in Multi Domain Operationen, inkrementell steigern. Große Teile der Digitalisierung von militärischen Systemen dienen ausschließlich diesem Ansatz.

„Die Kognitive Verstärkung schafft Kampfkraft, indem sie einen virtuellen Raum schafft, in dem vielfältige und auch komplexe Aufgaben mit verhältnismäßig geringem Personalaufwand bewältigt werden können.“

RAS 3 – Quantitative Verstärkung: Durch den Einsatz geeigneter KI-Verfahren können Systeme der Quantitativen Verstärkung auch komplexere Teilaufträge ausführen und ohne mittelbare Steuerung durch den Menschen agieren. Die Systeme werden hierdurch nicht autonom im Sinne eines „Eigenen Willens“, sie können aber, die durch den militärischen Führer freigegebenen Aktionen, über längere Zeit, ohne menschlichen Eingriff ausführen. Die Entwicklung von „RAS 3 Systemen“ steht noch am Anfang, es gibt aber bereits erste Anwendungen, die sehr gut funktionieren. Automatische Geschütze zur Abwehr von Luft- und Artillerieangriffen, wie das bereits erwähnte Flugabwehrsystem MANTIS, beispielsweise.

Die fortschreitende Entwicklung einschlägiger KI-Verfahren lässt zudem erhebliches Potential für weitere Anwendungen erkennen. Große Schwärme kleiner Unmanned Aerial Systems (UAS) z. B. könnten ähnlich drastische Veränderungen bewirken wie die Einführung von Waffen mit hoher Kadenz oder die Nutzung von gepanzerten Fahrzeugen in Gefechten. Aus heutiger Sicht ist die Quantitative Verstärkung zwingend erforderlich, um in künftigen Konflikten den Anforderungen des gerade entstehenden Hyperwars[1] standhalten zu können.

Durch die Quantitative Verstärkung entsteht eine „Der Mensch führt, die Maschine kämpft“ Situation, in der mit relativ wenig Personal, bei vollständiger Kontrolle und hoher Flexibilität, eine überzeugende Kampfkraft entfaltet werden kann.

„Die Quantitative Verstärkung vervielfacht die Kampfkraft eigener Truppenteile durch den massiven Einsatz von automatisierten Waffensystemen, die Teilaufträge auch ohne mittelbare Steuerung des Menschen ausführen können.“

Der Einsatz von RAS in der Bundeswehr soll keinen Verbund von autonomen sich selbstführenden Systemen im Sinne einer „Maschinenarmee“ schaffen. RAS dient vielmehr dazu, menschgeführte Strukturen so zu verstärken, dass sie in Kampfkraft, Schnelligkeit und Durchhaltefähigkeit konkurrenzfähig bleiben.


[1] Hyperwar kombiniert die klassische Gefechtsführung mit Cyber-Angriffen und Angriffen durch große Mengen (teil-)autonom gesteuerter Systeme. Dies verändert zwar die Struktur von Gefechten nicht grundsätzlich, führt aber zu einer gänzlich anderen Dynamik, da schneller und weiträumiger agiert werden kann und auch muss. [Hyperwar – Neue Herausforderungen für die Heeresentwicklung, ES&T vom 04. September 2019]

Prinzip 3: Zwei Arten von Veränderungen durch Automation

Automation kann durch eine schrittweise Einführung von Verbesserungen an bestehenden Systemen erfolgen. Hierbei werden die Systeme nicht sofort komplett verändert, sie gewinnen aber über einen längeren Entwicklungszeitraum deutlich an Kampfkraft. Bei dieser inkrementellen Weiterentwicklung erfolgt die Einführung von automatischen Neuerungen normalerweise erst dann, wenn gut abgesichert ist, dass die neuen Funktionalitäten einsatzreif und die neu entstehenden Systeme mindestens so gut sind wie die existierenden. Dieses Vorgehen entspricht dem etablierten Rüstungsprozess der meisten Streitkräfte und ist erforderlich, um das Risiko einer Unterlegenheit durch übereilte oder überambitionierte Neuerungen zu vermeiden.

Bei einer ausschließlich inkrementellen Weiterentwicklung besteht aber die Gefahr, dass gänzlich neue und andersartige Entwicklungen nicht betrachtet werden, da diese nicht aus der Weiterentwicklung bestehender Systeme entstehen, sondern als neue Idee häufig viele heute gängige Vorgehensmodelle verletzen.

Bei diesen, oftmals disruptiven Ansätzen besteht in aller Regel ein hohes Risiko, dass bestimmte Aspekte noch nicht die notwendige Einsatzreife haben. Trotzdem wäre es fatal, wenn derartige Ansätze nicht verfolgt würden, da sie im Falle einer, ggf. auch nur teilweisen, Einsetzbarkeit eine Veränderung der Gefechtsführung, bei möglicherweise deutlicher Steigerung der Kampfkraft, zur Folge haben könnten.

Die inkrementelle Weiterentwicklung der Automation muss auf jeden Fall erfolgen, um hinreichend modern zu bleiben. Die Untersuchung von disruptiven Ansätzen ist erforderlich, um nicht in das Risiko massiver Fähigkeitslücken zu laufen.

Wie weit kann Automation führen und wo stehen wir heute?

Die schrittweise Automation der Militärtechnik läuft bereits seit über 100 Jahren. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass jede neue Innovation immer etwas schwieriger war als die vorhergehende, da technisch komplexere Probleme gelöst werden mussten.

Nachdem nun fast alle Herausforderungen der Mechanischen Verstärkung und viele Themen der Kognitiven Verstärkung gelöst sind, befindet sich die Automation derzeit an der Schwelle zum automatischen Ausführen von Teilaufträgen und damit an der Schwelle zur Quantitativen Verstärkung. Aufgaben, die weniger anspruchsvolle kognitive Fähigkeiten erfordern funktionieren bereits, wie z. B. das Bekämpfen von Luftzielen auf Basis von Radardaten. Bestimmte Einzelaufgaben, wie z. B. das taktisch korrekte Steuern von Kleinstdrohnen auf dem Gefechtsfeld zur automatischen Erledigung relativ einfacher Teilaufgaben, sind vermutlich gerade so innerhalb des technisch Machbaren. Die Grenzen verschieben sich hier laufend in dem Maße, in dem die Künstliche Intelligenz fortschreitet und die Leistungsfähigkeit von Computern zunimmt.

Angesichts der zunehmenden Komplexität, zukünftig zu erledigenden Aufgaben ist davon auszugehen, dass auch der Entwicklungsaufwand für die Automation immer weiter zunehmen wird. Gleichermaßen nimmt auch die Bedeutung der Untersuchung von disruptiven Ansätzen weiter zu. Die nächsten Herausforderungen bestehen in der schrittweisen KI-Befähigung von ausgewählten, besonders geeigneten „RAS 3 Systemen“. Auch wenn viele dieser Entwicklungen technisch herausfordernd sind und deren Realisierung durchaus noch einige Zeit in Anspruch nehmen kann, wird die Entwicklung als solche, nicht zuletzt auch aus Gründen der sich abzeichnenden Bedrohungslage, sicher nicht aufzuhalten sein.

In letzter Konsequenz führt die Automation zu einem deutlich dynamischeren Gefechtsfeld, wie es z. B. in den gerade diskutierten Ansätzen zum Hyperwar thematisiert wird. Viele der heute geltenden Regeln auf taktischer und operativer Ebene werden sich verändern. Für die Bundeswehr kein selbsterwähltes Ziel, sondern vielmehr eine Herausforderung der sie sich stellen muss. Eine moderne Armee muss, um Ihren Auftrag erfüllen zu können, in höchstem Maße konkurrenzfähig sein.