Enormes Potenzial – Künstliche Intelligenz im Amt für Heeresentwicklung

Erstveröffentlichung:
Behördenspiegel 03/2019
Wehrtechnik 04/2019

Letzte Aktualisierung:
04.04.2022

Autoren
Thomas Doll, Thomas Schiller

Amazons Alexa und Apples Siri sind in aller Munde. IBM hat mit Watson in der Quizsendung Jeopardy die stärksten Kandidaten geschlagen und der Google Tochter DeepMind ist es gelungen mit AlphaGo den weltbesten Spieler in Go zu besiegen. Der Nachfolger AlphaGo Zero erlernt Brettspiele ohne jegliches Vorwissen und spielt schon nach wenigen Tagen jeden menschlichen Gegner an die Wand. Die Potenziale der Künstlichen Intelligenz (KI) scheinen groß. Abwer was steckt eigenltich hinter den genannten Errungenschaften und was ist aus Sicht der Heeresentwicklung zu tun?

Starke oder schwache künstliche Intelligenz?

Die Anfänge der künstlichen Intelligenz (KI) reichen zurück bis in die 1950er Jahre. In wissenschaftlichen Kreisen gilt die Dartmouth-Konferenz[1] aus dem Jahr 1956 als Geburtsstunde des damals noch neuen Forschungsgebiets. Inhaltlich befassten sich die Teilnehmer in New Hampshire mit Themen der Mathematik und frühen Informatik. Die Ziele waren ambitioniert und man plante unter anderem Schach-, Sprach- und Übersetzungsprogramme zu entwickeln. Die Ergebnisse blieben nicht zuletzt auch wegen der fehlenden Rechenleistung über Jahrzehnte hinter den Erwartungen zurück.

Vermutlich beeinflusst durch die Filmindustrie, möglicherweise aber auch durch die unglücklich gewählte und irreführende Namensgebung einer Künstlichen Intelligenz, hat sich über die Zeit, in den Köpfen der Menschen, die Vision einer KI festgesetzt, welche argumentieren, abwägen, denken und entscheiden kann wie ein Mensch. Eine Art Superintelligenz, die über die gleichen intellektuellen Fertigkeiten wie ein Mensch verfügt, oder ihn darin sogar übertrifft. Mit dem Einsatz mathematischer KI-Methoden hat dies jedoch nichts gemein.

Auch die KI-Strategie der Bundesregierung unterschiedet zwischen der oben angesprochenen Vision einer Superintelligenz – im Dokument als „starke“ KI bezeichnet – und der Lösung konkreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus der Mathematik und Informatik – im Dokument als „schwache“ KI bezeichnet. Nicht zuletzt, weil genau hier der technologische Durchbruch erkannt wird, orientiert sich die Bundesregierung und damit auch die Bundeswehr ausschließlich an den Positionen der „schwachen“ KI. Auch alle oben genannten Erfolge der KI in den letzten Jahren sind der Kategorie „schwacher“ KI zuzuordnen.


[1] Dartmouth Conference (vollständiger Titel: Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence)

Mensch und KI ergänzen sich?

Wenn heute im Allgemeinen von KI gesprochen wird, dann ist oftmals die Anwendung von Künstlichen Neuronalen Netzen (KNN) im Sinne eines lernenden Systems gemeint. Dieser Ansatz ist in schmalen und klar abgegrenzten Anwendungsbereichen äußerst effektiv. Beim Erkennen von Bild-, Sprach- oder Videoinhalten beispielsweise. Außerhalb der definierten Aufgabe versagen die Systeme klaglos. Ein auf Hunde trainiertes KNN wird treffsicher jeden Hund erkennen und vermutlich auch treffsicher zwischen Hunderassen unterscheiden können, es wird jedoch nicht in der Lage sein eine Katze als Katze zu identifizieren. Für den Menschen wäre dies eine triviale Aufgabe.

Vergleicht man die Intelligenz eines KNN mit der eines Menschen dann ist das KNN eher der Spezialist für eine kleine, klar umrissene Aufgabe. Außerhalb dieser Aufgabe ist es unfähig zu agieren. Der Mensch dahingegen ist eher der Generalist für ein sehr großes Spektrum an Aufgaben. Auch in Bereichen in denen er sich gar nicht auskennt, vermag er Lösungen zu finden und sich weiter zu helfen. Er kann irgendwie alles, erreicht dabei aber immer nur einen menschlichen Grad an Qualität, Geschwindigkeit und Durchhaltevermögen.

Ergänzt man nun die Fähigkeiten des Menschen mit denen gezielt antrainierter KNN so sind, zumindest für manche Aufgaben, deutlich bessere Ergebnisse zu erwarten. Der Mensch bleibt in seiner Verantwortung und entscheidet selbst, wird hierbei jedoch, immer dort wo ein KNN optimal trainiert werden kann, bestmöglich unterstützt.  In der Krebszellenerkennung werden KNN bereits heute sehr erfolgreich eingesetzt. Sie erreichen Erkennungsraten die denen langjährig ausgebildeter Fachärzte überlegen sind. Dieser Ansatz setzt menschliche Ressourcen frei, die besser und effektiver für andere Aufgaben eingesetzt werden können. Eine Win-Win-Situation die man auch in anderen Bereichen anstreben sollte.

Welche Rahmenbedingungen lassen sich ableiten?

Insgesamt stehen wir mit dem Thema der KI vor einem vielfältigen Spektrum an Herausforderungen, die nur durch sauber abgesteckte Handlungsrahmen bewältigt werden können. Im Folgenden werden vier Eckpfeiler besonders herausgestellt und tiefergehend betrachtet. Es handelt sich hierbei um die Frage nach geschultem Personal, der Verfügbarkeit von Datenbeständen, Fragen zu Recht und Ethik sowie der Frage einer zielführenden Kommunikation.

Personal: Um KI erfolgreich zur Anwendung zu bringen, bedarf es fachlich geschulten Personals. Dies wird in der Wirtschaft gerade händeringend gesucht. Mit ihren OR/M&S-Experten verfügt die Bundeswehr bereits heute über die in der Industrie dringend gesuchten „Data Scientists“. Die akademische Masterausbildung im Bereich „Operations Research“ schafft alle notwendigen Voraussetzungen für die Befassung mit KI-Aufgaben. Mit Zunahme der Bedeutung KI wird der Bedarf an diesen Experten zukünftig eher wachsen als stagnieren.

Daten: Für Methoden der KI und des maschinellen Lernens sind die Verfügbarkeit und Güte von Daten zentrale Voraussetzung und bestimmende Faktoren für die Qualität der Ergebnisse. Gleichzeitig ist die Sicherheit einer nutzbaren Datenbasis von essentieller Bedeutung. Abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall können die erforderlichen Daten auch mittels geeigneter Simulationen generiert und für den Lernprozess verwendet werden. Das oben bereits erwähnte AlphaGo Zero ist hierfür ein gutes Beispiel.

Recht und Ethik: Eine Datengewinnung zum Trainieren eines KNN muss im Einklang mit den geltenden rechtlichen Grundlagen und dem Werteverständnis der Zivilgesellschaft erfolgen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erstellung einer Datenbasis verhindert oder ausgeschlossen wird. Vielmehr gilt es Rechts- und Datenschutzexperten frühzeitig ins Boot der Entwicklung von Methoden und Anwendungsfeldern der künstlichen Intelligenz zu holen und die Bedeutung der Ausgestaltung rechtlicher und datenschutzrechtlicher Grundlagen für zukunftsfähige KI-Anwendungsfelder zu vermitteln.

Kommunikation: Das Thema der KI schürt immer wieder Ängste und Bedenken. Das komplett autonome KI-System und die Superintelligenz sind Science-Fiction. Ist heute von KI die Rede, dann ist „schwache“ KI gemeint. Sollte es jemals in der Geschichte der Menschheit eine „starke“ KI geben, dann würde dies eine grundlegende Zäsur bedeuten. Sämtliches zivilgesellschaftliches, staatliches, zwischenstaatliches und allgemein menschliches Agieren würde dann vermutlich einer Neuverhandlung unterzogen werden müssen. Doch mit der Anwendung von Mathematik und Informatik zur realisierung einer schwachen KI mit singulären Effekten hat dies nichts gemein. Diesen Unterschied zwischen einer starken und einer schwachen KI gilt es zu kommunizieren, um etwaigen Vorbehalten keinen Nährboden zu geben.

Zusammenfassung

Die Erfolge im Bereich der künstlichen Intelligenz der letzten Jahre sind offensichtlich. IBMs Watson, DeepMinds AlphaGo oder auch von der breiten Bevölkerung gentzte Produkte wie Amazons Alexa oder Apples Siri verdeutlichen das Potential der „neuen“ Technologie. Dies ist nicht zuletzt dem erstmals in der Geschichte verfügbaren Dreiklang aus Methodik, Rechenleistung und Daten zu verdanken. Der methodenbasierte Ansatz aus Mathematik und Informatik ist ausgereift. Die verfügbare Rechenleistung ist vorhanden und wächst Jahr für Jahr. Die erforderlichen Datenmengen sind digital vorhanden oder lassen sich simulationsgestützt generieren.

Dieses Potential der schwachen KI gilt es, auch gemäß der Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung, für die Streitkräfte zu nutzen. Doch eine erfolgreiche Umsetzung verlangt auch nach passenden Rahmenbedingungen. KI benötigt Fachpersonal in Form von Data Scientists, aber auch klare rechtliche und ethische Handlungsspielräume. Und KI benötigt eine ehrliche und klare Kommunikation. KI bietet großes Potential Abläufe und Prozesse zu optimieren und weiter zu entwickeln. Dies jedoch immer auf Grundlage der Mathematik und Informatik. KI ist nicht die umfassende Superintelligenz!