Erstveröffentlichung:
Europäische Sicherheit und Technik 10/2020
Letzte Aktualisierung:
03.04.2022
Autoren
Jan-Wilhelm Brendecke, Thomas Doll, Daniel Kallfass
Ein Zukunftsszenario
Wir schreiben das Jahr 2040. Das Gefechtsfeld ist geprägt durch eine Vielzahl moderner Technologien. Cyberangriffe sind an der Tagesordnung und der Einsatz unbemannter Plattformen ist Routine. Viele der Systeme agieren im Rahmen ihres Auftrags automatisiert, präzise und vor allem schnell. Die Geschwindigkeit und Dynamik der Operationen hat deutlich zugenommen. Dies zeigt sich insbesondere in erheblich verkürzten Entscheidungszyklen.
Lageentwicklung: In der beweglichen Befehlsstelle des Brigadekommandeurs liegt das gesamte Gefechtsfeld mit allen relevanten Informationen als „Digital Twin“, einer digitalen Kopie sämtlicher Realsysteme auf dem Gefechtsfeld, vor. Für die eigenen Kräfte schließt dies die Einsatzbereitschaftslage der Einzelplattformen mit Informationen zu Betriebsmitteln, Munition, Wartungsintervallen, als auch der geleisteten Einsatzstunden einzelner Besatzungen mit ein. Die vorliegenden Informationen zur Lage gegnerischer Kräfte setzen sich aus den Ergebnissen aller verfügbaren Aufklärungsmittel zusammen. Die Daten von Spähaufklärung, Gefechtsaufklärung, Elektronischer Aufklärung und aus zahlreichen anderen Quellen fließen zusammen und werden zu einem Lagebild fusioniert. Die Systeme am Boden, auf See, in der Luft und im Weltraum ergänzen sich gegenseitig. Aufklärungsergebnisse aus dem Cyberraum werden ebenfalls erfasst. Erkenntnisse der „Open Source Intelligence“ wie beispielsweise dem Internet fließen nach sorgfältiger Bewertung ebenfalls mit ein. Die Vielfalt und Masse an Daten kann nur noch mit Hilfe leistungsfähiger KI-Systeme verarbeitet werden. Die Daten werden gesammelt, aufbereitet, analysiert, vorinterpretiert und dann zur abschließenden Bewertung durch den Menschen bereitgestellt.
(Fortsetzung folgt)
Künstliche Intelligenz im militärischen Umfeld
Obwohl bereits in den 1950er-Jahren geprägt, kann der Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) auch heute noch immer missverstanden werden. Mutet er doch an, dass KI-Systeme, dem Menschen ähnlich, eigenständig abwägen, argumentieren oder gar Entscheidungen treffen. De facto ist dem nicht so. Die Künstliche Intelligenz ist ein wissenschaftliches Fachgebiet, bei dem ausschließlich Methoden und Verfahren der Mathematik und Informatik zum Einsatz kommen. Sie ist daher eher mit einem sehr fortschrittlichen Taschenrechner als mit tatsächlicher menschlicher Intelligenz vergleichbar.
Dennoch können KI-Systeme bereits heute Erstaunliches leisten, und es ist zu erwarten, dass die Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Im Zusammenspiel mit der Weiterentwicklung und Miniaturisierung von Integrierten Schaltkreisen, Sensoren, Motoren und Energieversorgungssystemen werden sich KI-Systeme in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens etablieren. Gleichermaßen bieten KI-Systeme erhebliches Potential zum Einsatz im militärischen Umfeld.
Das Spektrum reicht von Unterstützungssystemen auf unterster taktischer Ebene bis hin zu Entscheidungsunterstützungssystemen auf höchster strategischer Führungsebene. Durch den Einsatz von
KI-Systemen können Aufgaben hochautomatisiert, präzisiert und beschleunigt werden. Vorrangiges Ziel des militärischen Einsatzes von KI-Verfahren ist es daher, die Prozesse auf dem Gefechtsfeld zu beschleunigen und den stetig wachsenden Datenbestand zu beherrschen. Letztendlich helfen KI-Verfahren aber auch, Ressourcen zu sparen, Kollateralschäden zu vermeiden und das Risiko für das eingesetzte Personal zu reduzieren. Als Beispiele für die Anwendung von KI-Systemen seien die Bilddatenanalyse im Bereich der Aufklärung, die Prozessoptimierung im Bereich der Logistik, die Erkennung von Angriffsmustern im Bereich der Cyberabwehr, die Steuerung unbemannter Systeme im Schwarm und die Entscheidungsunterstützung im militärischen Führungsprozess zur Operationsplanung und -führung genannt.
Eine grundlegende Voraussetzung für die zielführende Nutzung von KI-Systemen ist die Digitalisierung der Streitkräfte. Die medienbruchfreie Digitalisierung aller Daten, wie z. B. der Sensordaten in den Einsatzgebieten ist dabei ein entscheidender Faktor. Erste Konzepte hierzu werden derzeit unter den Begriffen „Shared Information Space“ (SIS) und „Combat Cloud“ entwickelt. Dem Big-Data-Ansatz folgend werden dabei sämtliche Daten eigener Kräfte als auch sämtliche Aufklärungsdaten gegnerischer Kräfte digital gespeichert und fortlaufend aktualisiert. Basierend auf den so geschaffenen Datenbeständen können KI-Systeme den Menschen unterstützen, zeitgerecht zweckmäßige Entscheidungen zu treffen.
Der militärische Führungsprozess
Der im Weiteren betrachtete militärische Führungsprozess ist ein zielorientierter und systematischer Denk- und Handlungsablauf, der auf allen taktischen Führungsebenen ständig abläuft. Er ermöglicht sowohl die Planung zukünftiger, als auch die Führung laufender Operationen. Kern des Führungsprozesses ist es, rechtzeitig einen zweckmäßigen und erfolgversprechenden Entschluss zu fassen, darauf basierend eine ausreichende und klare Planung und Befehlsgebung sicherzustellen und somit allen Beteiligten ausreichend Zeit zu verschaffen, daraus resultierende Aufträge in eigenes Handeln umzusetzen. Er trägt dazu bei, ein höheres Tempo in der Operationsführung zu erzielen, die Initiative zu behalten oder zurückzugewinnen und dem Gegner damit das Gesetz des Handelns aufzuzwingen. Hierzu kann der Führungsprozess als formal strukturierter Prozess der Stabsarbeit mit festen Formaten und zahlreichen beteiligten Experten, oder auch als ein rein gedanklicher Prozess im Kopf jedes Einzelnen, der eine Entscheidung treffen muss, ablaufen.
Der Führungsprozess ist ein ständig wiederkehrender Zyklus, der sich in die Phasen „Lagefeststellung“, „Entscheidungsfindung“, „Planung“, „Befehlsgebung“ und „Kontrolle“ gliedert und dann erneut mit der Phase „Lagefeststellung“ beginnt.
In den Anwendungsbereichen, für die sie entwickelt worden sind, sind KI-Systeme dem Menschen hinsichtlich Präzision und Geschwindigkeit oft überlegen. So z. B. bei der Erfassung und Verarbeitung großer Datenmengen oder bei der exakten Steuerung elektromechanischer Systeme. Außerhalb dieser definierten Aufgaben können sie dahingegen nicht zielführend eingesetzt werden. Ihr Einsatz ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn durch bessere Präzision und Geschwindigkeit ein Mehrwert für den Menschen erzeugt wird. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen des Führungsprozesses betrachtet und daraufhin untersucht, wo und wie KI-Systeme zum Einsatz kommen können.
Phase „Lagefeststellung und Kontrolle“
Die Lagefeststellung bildet die Grundlage für das weitere Verfahren und ist dabei immer auch Kontrolle der vorangegangenen Entscheidungen, Planungen, deren Umsetzung und der erzielten Wirkungen. Lagefeststellung und Kontrolle bilden eine Einheit und sind Aufgaben, die kontinuierlich durchgeführt werden müssen. Ziel der Lagefeststellung ist es, ständig über ein möglichst übersichtliches, aktuelles, zutreffendes, rollen- und ebenengerechtes sowie möglichst vollständiges Lagebild zu verfügen.
Dieses Lagebild muss aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen generiert werden. Dabei kann es sich um Informationen in Form von Bildern, Funksprüchen, Textnachrichten unterschiedlichster technischer Sensoren aber auch um öffentliche Informationen aus Nachrichten, Berichten, Artikeln oder sozialen Medien handeln. Die Liste lässt sich nahezu beliebig fortführen. Die Herausforderung besteht nun darin, die Masse an Informationen zu sortieren, zu klassifizieren, zu bewerten und sinnvoll zusammenzuführen. Für die militärischen Zwecke ist zudem eine Selektion der jeweils relevanten Daten erforderlich.
Lageentwicklung: Ein unbemanntes Luftfahrzeug (Unmanned Aerial Vehicle, UAV) fliegt knapp über den Baumspitzen des Einsatzgebietes. Es ist Teil eines Schwarms, der vorwärts der eigenen Kräfte die vordersten Spitzen der gegnerischen Kräfte aufklären soll. Die hochauflösende Weitwinkelkamera erfasst kontinuierlich das Gelände unterhalb des UAV. Diese Bilddaten werden unmittelbar auf der Plattform durch KI-Algorithmen ausgewertet. Die Daten werden nach bestimmten Mustern, Signaturen und Merkmalen untersucht. Dies passiert quasi in Echtzeit. Beim Überflug einer Straße am Waldrand erkennt das System ein gegnerisches Gefechtsfahrzeugfahrzeug in Bewegung. Sofort wird die Position des Gefechtsfahrzeuges mit Zeitstempel an das Battle Management System (BMS) übertragen. Weder müssen breitbandige Videodaten übertragen werden, noch ist eine zeit- und personalaufwändige Auswertung auf dem Gefechtsstand notwendig.
Im BMS laufen zahlreiche Meldungen des Aufklärungsschwarms mit Feindmeldungen auf. Automatisch werden diese abgeglichen. Mit zunehmender Anzahl an Aufklärungsmeldungen wächst die Zuverlässigkeit und im BMS können präzise Informationen angezeigt werden. Art, Anzahl und Position der aufgeklärten gegnerischen Kräfte erlauben es dem BMS zu berechnen, wo und mit welchem Auftrag die gegnerischen Kräfte mit der höchsten Wahrscheinlichkeit eingesetzt sind. (Fortsetzung folgt)
In der Bilderkennung haben moderne KI-Verfahren die klassisch algorithmischen Verfahren bereits bei weitem übertroffen. Als Beispiel sei die bildgebende Diagnostik in der Medizin genannt. Hier können moderne KI-Verfahren z. B. bei der Erkennung von Tumoren eine höhere Trefferrate als erfahrene Fachärzte erzielen und das bei wesentlich höherer Geschwindigkeit und konstanter Qualität. Im Gegensatz zum Menschen ermüden KI-Systeme nicht.
Übertragen in den militärischen Bereich ermöglichen diese Verfahren das automatisierte Erkennen und Identifizieren feindlicher Objekte (z. B. Waffensysteme oder Gefechtsfahrzeuge) auf dem Gefechtsfeld. Zielmeldungen können damit automatisiert erzeugt und der Bekämpfungsvorgang deutlich beschleunigt werden.
Darüber hinaus können KI-gestützte Big-Data-Analyseverfahren verwendet werden, um Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Anomalien in komplexen Informationsräumen zu erkennen und für den Menschen zugänglich zu machen. Sie unterstützen die Beantwortung der Fragen „Was ist passiert?“, „Warum ist es passiert?“ und „Was wird noch passieren?“. Insbesondere die zuletzt genannte Prognose spielt für die Lagebeurteilung eine wichtige Rolle. So ist es z. B. denkbar, dass auf Basis eingehender Feindmeldungen mittels KI-gestützter Big-Data-Analyse eine Lageentwicklung automatisch erkannt und die wahrscheinliche Absicht des Gegners, wie z. B. die Vorbereitung eines Angriffs, prognostiziert wird.
Phase „Entscheidungsfindung“
Die wichtigste Aufgabe eines militärischen Führers ist es, Entscheidungen zu treffen und durch eine klar formulierte Absicht und eindeutige Aufträge den nachgeordneten Ebenen erreichbare Ziele zu setzen. Die Entscheidungsfindung als „Kern des Führungsprozesses“ gliedert sich in die drei aufeinander folgenden Abschnitte „Auswertung des Auftrages“, „Beurteilung der Lage“ und „Entschluss“.
Das „Führen mit Auftrag” wird auch in absehbarer Zukunft für die Schlüsselelemente „Auswertung des Auftrags“ und „Entschluss“ eine echte menschliche Intelligenz erfordern. Dass an diesem zentralen Punkt auch weiterhin ein Mensch die Entscheidungen trifft, entspricht voll und ganz dem Selbstverständnis der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Beurteilung der Lage hingegen wird durchaus Potenzial für den Einsatz von KI-Systemen gesehen.
Die Beurteilung der Lage dient der Vorbereitung von Entscheidungen und führt rechtzeitig zu einem logisch abgeleiteten und zweckmäßigen Entschluss. Hier werden neben den militärischen auch alle weiteren relevanten Einflussfaktoren (bspw. politische, wirtschaftliche, soziale, infrastrukturelle und Informationsaspekte), die die Entscheidung des militärischen Führers beeinflussen können, beurteilt und Folgerungen für das eigene Handeln abgeleitet. Folgerungen für die Möglichkeiten des eigenen Handelns werden entwickelt und auf ihre Vor- und Nachteile hin untersucht. Gerade bei der logischen Herleitung sowie der Analyse und Bewertung von relevanten Einflussfaktoren lässt sich Potential zum Einsatz von KI-Verfahren erkennen.
Lageentwicklung: Während der Kommandeur die Lagekarte studiert und schon erste Überlegungen zur Umsetzung seines Auftrages anstellt, verarbeiten die KI-Systeme des BMS den aktualisierten Datenbestand. Der Planungsstabsoffizier zeichnet einen Angriffspfeil in die Lagekarte ein. Sofort wird die geplante Aktivität mit den Statusdaten der Einheit abgeglichen. Auf dem Planungsbildschirm erscheint eine Meldung: „Betriebsstoff für geplante Aktion nicht ausreichend. Neuberechnung mit Nachversorgung durchführen?“ Der Planungsstabsoffizier billigt diesen Vorschlag und nur Sekunden später erscheint ein Vorschlag für die Nachversorgung der Kräfte inklusive neuer Zeitberechnung auf dem Bildschirm.
Schnell hat der Stab mit der Unterstützung von KI-Verfahren die Möglichkeiten des Handelns entwickelt. Der nächste Schritt ist das Abwägen der Möglichkeiten. Während der Stab die Vor- und Nachteile untersucht, werden die verschiedenen Alternativen vollautomatisch aus dem Planungstool an eine Simulation übergeben, die mit den vorhandenen Planungs- und aktuellen Lagedaten die verschiedenen Variationen durchspielt. Im Ergebnis liefert das System für jede Möglichkeit die Wahrscheinlichkeit für die erfolgreiche Auftragserfüllung und das Risiko für die eigenen Kräfte. Alle Informationen werden dem Kommandeur nun im Lagevortrag zur Entscheidung vorgetragen und dieser fällt seinen Entschluss. (Fortsetzung folgt)
Die empfehlende Analyse baut auf den oben bereits erwähnten Verfahren auf und beschäftigt sich mit der Frage, wie sich verschiedene Handlungen auf ein Ergebnis auswirken und welche Handlung die beste darstellt. Zur Anwendung kommen u.a. Simulationssysteme aus dem Bereich Modellbildung und Simulation (M&S) in Kombination mit der KI-Methode des Reinforcement Learning. Für die Beurteilung der Lage bietet diese Analyseform großes Potential, verschiedene Möglichkeiten des Handelns zu entwickeln, zu untersuchen und gegenüberzustellen.
Im Rahmen der Studie „Reinforcement Learning für komplexe Gefechtssituationen (ReLeGs)“ wird derzeit untersucht, ob sich der in der zivilen Forschung bereits erfolgreich angewandte KI-Ansatz auf einen militärischen Anwendungsfall übertragen lässt. Die Studie soll Erkenntnisse liefern, ob und – wenn ja – inwieweit ein so trainiertes KI-System als Entscheidungsunterstützungssystem in realen Gefechtssituationen eingesetzt werden kann.
Phase „Planung“
Im Mittelpunkt der Planung steht die Entwicklung des Operationsplans. Auf Basis des Entschlusses und der Grundzüge der Operationsführung wird hier das Zusammenwirken der Kräfte und Mittel räumlich und zeitlich auf das im Auftrag vorgegebene Ziel hin koordiniert und synchronisiert. Der Operationsplan mit der beabsichtigten Operationsführung wird grafisch erstellt. Kurze schriftliche Zusätze ergänzen, was sich grafisch nicht ausdrücken lässt. Grundsätzlich sind standardisierte militärische Symbole und festgelegte Abkürzungen zu verwenden. Jeder Operationsplan muss klar und einfach sein.
Lageentwicklung: Mit nur einem Klick auf die gewählte Möglichkeit im Planungstool werden sofort alle Planungsdaten mit den aktuellen Lagedaten abgeglichen. Die Ergebnisse der KI-gestützten Analysen und Simulationsläufe, die während der Entwicklung der Möglichkeiten durchgeführt worden sind, bilden die Grundlage für die Planung. Mit den aktualisierten Daten aus dem BMS errechnet das System optimierte Vorschläge für das Nachversorgen der Kräfte, Anmarschrouten und Zeitlinien. Die Experten in den verschiedenen Führungsgrundgebieten und Spezialstabsoffiziere überprüfen die Vorschläge und nehmen bei Bedarf Anpassungen vor. Der Logistikstabsoffizier möchte mehr Zeit für die Nachversorgung einplanen. Sofort aktualisiert das Planungstool alle Berechnungen und nur wenige Augenblicke später steht der aktualisierte Plan zur Verfügung. Das hinterlegte KI-Verfahren prüft automatisch, ob alle vergebenen Zeiten gehalten werden können und schlägt ggfs. Alternativen vor. Die schnellen und automatisierten Berechnungen erlauben eine zügige und interaktive Planung ohne lange Unterbrechungen für detaillierte Planungsarbeiten von Hand. So wird aus dem Entschluss schnell ein solider Operationsplan. (Fortsetzung folgt)
Berechnungen zu logistischen Reichweiten, Kommunikationsnetzplanung, Truppeneinteilung, Kampfbeladung, räumliche und zeitliche Koordination und Synchronisation etc. werden auch heute bereits mittels Methoden und Verfahren des Operations-Research / Modellbildung und Simulation (OR/M&S) unterstützt, um möglichst zweckmäßige Lösungen zu finden.
Der Einsatz dieser Werkzeuge ist jedoch oft sehr zeit- und personalintensiv und benötigt Expertise in der jeweiligen Domäne. KI-Systeme können hier eingesetzt werden, um die relevanten Daten und Szenarien in die entsprechenden Analysewerkzeuge automatisiert einzupflegen. Ein Beispiel hierfür ist die im Szenario beschriebene automatisiert adaptive Kräfteplanung, die über eine automatisch initiierte simulationsgestützte Analyse ermittelt wurde.
Für einige Planungsdomänen wie z. B. der Logistikbranche ist es mittels geeigneter KI-Verfahren bereits heute möglich, ein Berechnungsmodell auf Basis „historischer“ Realdaten abzuleiten. Dies erspart die Entwicklung und Pflege von komplexen Simulationsmodellen. So verwenden beispielsweise Logistikdienstleister in vielen Bereichen KI-Verfahren zur Vorhersage von zukünftigen Transportbedarfen, zur Optimierung von Logistikrouten oder zur Prognose von Verzögerungen im Luft-, Schienen- oder Seefrachtbereich.
Phase „Befehlsgebung“
Die eigene Absicht und Aufträge an unterstellte militärische Führer sind Kern des Operationsbefehls, damit diese in die Lage versetzt werden, den Führungsprozess auf ihrer Ebene durchzuführen, der dann in einem eigenen Entschluss und der daraus resultierenden Befehlsgebung für die nächste unterstellte Ebene mündet. Da die militärischen Führer aller Ebenen ständig selbst den Führungsprozess durchführen und in der Lage leben, benötigen sie in der Regel keine zusätzlichen Anweisungen, um ihren Auftrag erfüllen zu können.
Lageentwicklung: Der Operationsplan ist im Planungstool digital verfügbar. Damit können alle wichtigen Informationen zu Kräften, Raum und Zeit anlassbezogen ein- oder ausgeblendet werden. Alle Informationen aus dem graphischen Plan werden nun von KI-Systemen automatisch in Text transformiert und in das Befehlsschema übertragen. Wesentliche Bausteine eines Befehls wie „Einzelaufträge“, „Maßnahmen zur Koordination“ und die „Truppeneinteilung“ werden automatisch generiert. Die Synchronisationsmatrix und der Zeitstrahl für die geplante Operation werden ebenfalls mittels KI-Verfahren erzeugt. Ehemals handwerkliche Aufgaben können von geeigneten KI-Verfahren übernommen werden, was den Erstellungsprozess des Operationsbefehls massiv beschleunigt. Der Befehl ist nun mit allen Informationen im BMS verfügbar und steht dem Kommandeur für seine Befehlsausgabe und die anschließende Verteilung zur Verfügung. Eine Übersetzung in andere Sprachen ist bei Bedarf jederzeit möglich und kann vollautomatisiert erfolgen.
Die Erstellung des Befehls für die nachgeordnete Ebene ist im Wesentlichen eine handwerkliche Arbeit, die die erarbeiteten Pläne nach einem festen Schema in einen von Menschen lesbaren Befehl, ggf. ergänzt durch graphische Pläne auf einer Lagekarte, überträgt.
Es ist zu erwarten, dass Operationsbefehle mittelfristig automatisch aus den Planungssystemen generiert werden können. Das bereits heute fest etablierte Schema der Befehlserstellung begünstigt den Einsatz von KI-Systemen zusätzlich. KI-Methoden können bereits heute zu Bildern oder Grafiken einen beschreibenden Text generieren. So wäre es z. B. denkbar, eine KI zu trainieren, die automatisch aus einer Lagekarte einen beschreibenden Text für einen Befehl erzeugen kann.
Indem die vorgenerierten Befehle lediglich einer abschließenden Prüfung zugeführt, geringfügig überarbeitet und abschließend gebilligt werden müssen, können zeitliche und personelle Ressourcen eingespart werden. Mittels KI-gestützter Spracherkennungssysteme (sog. Natural-Language-Processing- Verfahren) können zudem einzelne Textbausteine direkt in das System diktiert werden.
Fazit
KI-Verfahren bieten bereits heute vielfältige Möglichkeiten, um den Führungsprozesses in seinen Phasen zu beschleunigen, den stetig wachsenden Datenbestand zu beherrschen und damit die Qualität der dem Entscheidungsträger bereitgestellten Information zu verbessern. Zusätzlich können viele handwerkliche Aufgaben innerhalb des Führungsprozesses von KI-Verfahren übernommen werden. Auch damit kann der Prozess beschleunigt und die Belastung für das Personal reduziert werden.
Das „Führen mit Auftrag” wird auch zukünftig für die Schlüsselelemente „Auswertung des Auftrags“ und „Entschlussfindung“ die menschliche Intelligenz erfordern. Dass an dieser zentralen Stelle – vor allem auch beim Einsatz von Waffen – weiterhin ein Mensch die Entscheidungen trifft, entspricht dem Selbstverständnis der Bundeswehr.
KI-Verfahren werden nicht nur bei zivilen Akteuren zukünftig vermehrt zum Einsatz kommen, sondern auch bei unseren Verbündeten und Partnern, letztendlich aber auch bei potentiellen Gegnern. Um hier auch zukünftig auf Augenhöhe agieren zu können, ist es erforderlich, die Einsatzmöglichkeiten von KI-Systemen im Deutschen Führungsprozess der Landstreitkräfte, aber auch im militärischen Einsatz allgemein, zu untersuchen.
Zukünftige Landstreitkräfte werden nur dann konkurrenzfähig agieren können, wenn der eigene Führungsprozess an die stark beschleunigte Gefechtsführung unter Fight-at-Machine-Speed-Bedingungen angepasst wird. Der Einsatz geeigneter KI-Verfahren kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten.